Archiv der Kategorie: CD-Tipps

Popa Chubby: Back to New York City

Popa Chubby - Back To New York CityEin Mann wie eine Dampfwalze! Filigrane Zwischentöne sind seine Sache nicht. Mit seiner Stromgitarre, die so aussieht, als hätte Popa Chubby mit ihr schon manchen Dinosaurier erschlagen, brät er entschlossen alles an die Wand, was sonst noch in Sachen Bluesrock unterwegs ist. Das Vokabular des klassischen Blues beherrscht er ebenso souverän wie das martialische Werkzeug des Heavy-Metal-Gitarristen. Denn der Mann aus der Bronx legt gern eine Gangart härter ein – die Nummern heißen dann „Warrior God“ oder ähnlich und hören sich auch genau so an. Mögen sich die Bewahrer der reinen Lehre auch bekreuzigen – wenn Chubby Balladen zelebriert, dann kommt das so testosterongeladen-sentimental rüber, dass selbst die härtesten Jungs hemmungslos in ihre Lederkutten heulen. Sven Sorgenfrey (25.9.2011)

Label: Mascot/Rough Trade

Lizzy Loeb: The One

Lizzy Loeb - The OneIhre Stimme ist weich und mehr für die Kammer als für die Halle gemacht. Man glaubt sie schon immer gekannt zu haben. Deshalb hört man Lizzy Loeb gern zu, wenn sie von Herzeleid und -freud singt. Ihre Lieder sind unendlich weit entfernt von den „Teenage-Angst“-Formeln anderer Popsongs. Die Frau hat schon am Leben teilgenommen. Ihre sprachlichen Bilder sind so präzise wie ihre Musik. Und die braucht nicht mehr als ihre Stimme und ihre Gitarre. Die anderen Instrumente sind nett, aber Beiwerk. Da sie einem Jazzerhaushalt entstammt, steht ihr ein reicher musikalischer Werkzeugkoffer zur Verfügung. Unfehlbar vermeidet sie jedes Klischee und hat einen unverkennbar persönlichen Stil – den zu entwickeln andere Jahrzehnte brauchen würden. Ein selten perfektes Erstlingsalbum. Sven Sorgenfrey (18.9.2011)

Label: C.A.R.E/Edel Kultur

James Farm: James Farm

James Farm - James FarmHinter dem kryptischen Bandnamen verstecken sich Saxofonist Joshua Redman, Pianist Aaron Parks, Bassist Matt Penman und Schlagwerker Eric Harland – jeder für sich ein Markenname. Als Quartett heben die Musiker Synergien, die auf eine glorreiche Zukunft hoffen lassen. Denn mit spielerischer Leichtigkeit zelebrieren die vier Gruppenimprovisationen von großer Dichte und Komplexität. Souverän bedienen sie sich an einem breiten Spektrum von Genres. Was sie machen, geht unter die Haut und in die Beine, öffnet neue Perspektiven, rührt an, überrascht und erzeugt schlichtweg gute Laune. Dabei kann man allerlei lernen über musikalische Strukturen, 1001 Arten des gepflegten Grooves und die Kunst kollektiver Improvisation. Oder man stellt das Hirn auf Stand-by, schließt die Augen und genießt. Sven Sorgenfrey (15.5.2011)

Label: Nonesuch/Warner

Al Di Meola: Pursuit of Radical Rhapsody

Al Di Meola - Pursuit of Radical RhapsodyNach längerer Pause kommt der Großmeister der schnellen Konzertgitarre mit einem Album um die Ecke, das deutlich komplexer gestrickt ist als alles, was man zuvor von ihm gehört hat. Mit seiner „World Sinfonia“-Band mischt er dank großer Leichtigkeit, Finesse und ungeheurem Spielspaß ein breites Spektrum unterschiedlicher Weltmusikstile mit den besseren Teilen von Fusion-Jazz. Da ist kein junger Wilder am Werk, sondern man bekommt Teilergebnisse jahrzehntelanger Spielerfahrung präsentiert. Wer genau hinhört, kann dabei viel lernen und auch beim zehnten Hören noch überraschende Details entdecken. Zumal Di Meola einen Ruf zu verteidigen hat: Es gibt kaum Gitarristen, die wie er ohne Prahlerei so wieselflink (und dabei so sauber) spielen, dass man ihm als Zuhörer kaum folgen kann. Sven Sorgenfrey (10.4.2011)

Label: Telarc

Tineke Postma: The Dawn of Light

Tieneke Postma - Dawn of LightEin phänomenales Album! Diese junge Saxophonistin legt einen musikalischen Reifegrad, eine Komplettheit an den Tag, den man sonst nur bei den ganz großen Alten findet. Mit ungeschminketem, nackten Ton, großer Farbpalette, kluger Melodik, originellen (Eigen-) Kompositionen, ausgeschlafener Dramaturgie spielt sie jederzeit echt, direkt, ungekünzelt. Ihr Spiel ist frei, und es entsteht dabei fast immer etwas Neues, Fertiges – anders als bei anderen wird man bei ihr nicht Ohrenzeuge einer mühsamen und quälenden Suche. Und was für eine Band! Sie spielen wie aus einem Guss, auch bei den vertracktesten Passagen, ihr Spiel franst nicht aus, sondern bleibt kompakt und konzentriert. Der Gastauftritt von Grammygewinnerin Esperanza Spalding verleiht dem Quartett zusätzlichen Glamour. Sven Sorgenfrey (3.4.2011)

Label: Challenge

Kevin Eubanks: Zen Food

Kevin Eubanks - Zen FoodEs ist beileibe nicht leicht, seinen Lebensunterhalt mit Jazz zu verdienen. Kevin Eubanks spielte 18 lange Jahre als Gitarrist in der Kapelle von Jay Lenos „Late Show“, nach Branford Marsalis‘ Weggang leitete er die Band – und wurde als Sidekick der Show populär. Vergangenes Jahr verließ er diese Tretmühle, um sich wieder ganz seiner Musik widmen zu können. Sein erstes Album in wiedergewonnener Freiheit knüpft an seine alten Qualitäten an: Technisch makellos, leicht, funky spielt er scheinbar schwerelos selbst vertrackteste Passagen, ja, es scheint, es bringe ihm umso mehr Spaß und er werde umso entspannter, je kniffeliger die Musik wird. Dabei ist sie immer ungeheuer frisch und fröhlich, für machen vielleicht etwas zu brillant und makellos – ein wenig mehr Tiefgang wäre auch ganz schön. Sven Sorgenfrey (20.3.2011)

Label: Mack Avenue

Lisa Bassenge: Nur Fort

Lisa Bassenge - Nur FortSie macht es dir leicht, sie zu mögen. Mit ihrem Timbre, ihrer Aussprache, ihrem Charme greift sie dir ans Herz, packt dich und wirbelt dich herum. Sie zeigt dir was aus ihrem Leben, du verstehst nicht ganz, aber du musst immer mit. Mal macht sie auf Chansonette à la Hildegard Knef, mal dreht sie Joachim Witts „Kosmetik“ durch den Wolf. Kaum hat sie dich mit dem Schumann-Lied „Auf einer Burg“ verzaubert – du träumst verklärt -, dann erschrickt sie dich als Country-„Girl in the Mirror“ mit Steel-Guitar und allem Rapp und Zapp. Plötzlich singt sie, dass sie „Nur Fort“ will, aber irgendwas sagt dir, dass das auch nur eine Pose ist. Du hechelst hinterher, wirst von ihr belächelt und verspottet und willst genau davon immer mehr. Am Ende erwachst du und erkennst: Sie wollte nur ein bisschen spielen. Sven Sorgenfrey (16.1.2011)

Label: Minor Music

Francis Drake: Stories

FrancisDrakeStoriesMit Max Frankl (Gitarren), Max von Mosch (Saxofone und Klarinette) und Henning Sieverts (Bass) haben sich drei der begabtesten jungen deutschen Jazzmusiker zu einem Trio zusammengeschlossen. Ihr Leitbild ist der englische Entdecker und Seefahrer Francis Drake, dem sie es an Abenteuerlust gleichtun wollen. Tatsächlich erkennen die drei weder Genregrenzen noch Dogmen der Jazzpolizei an, sondern bewegen sich frei und immer der Nase nach durch das musikalische Material, das ihnen in die Hände fällt. Ausgiebige Ausflüge ins seriöse Fach wechseln zwanglos mit Folk- und eher freien Passagen. Ihrem überschaubaren Instrumentarium entlocken sie immer neue Klänge und Stimmungen. Das ist hellwach, frech, gelegentlich dreist, manchmal unerhört, aber immer erfrischend und spannend. Sven Sorgenfrey (9.1.2011)

Label: Double Moon

Klazz Brothers & Cuba Percussion: Christmas Meets Cuba

KlazzBrothersChristmasMan nehme abgestandene Weihnachtslieder, füge den Melodien rhythmische Verschiebungen hinzu, lege ein paar Jazzakkorde drauf, dazu das Gerassel zweier exzellenter Perkussionisten, fertig ist die Bescherung. Da blitzt gelegentlich eine verschämte Keckheit auf, aber das war's. Es bleibt bescherungsstubentauglich. Doch je näher das Fest rückt, desto milder wird auch der Rezensent. Ist „O Tannenbaum“, gesungen von Cristin Claas, nicht doch ganz nett? Gemahnt „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ in seiner trägen Traurigkeit nicht schön an die grassierende Winterdepression? Und als Alternative zum Blockflötenchor der Grundschule ist das Album doch wirklich zu empfehlen. Nach dem wunderbaren „Se siente la Navidad“ bestelle ich zwei Cuba Libre – einen fürs Christkind und einen für mich. Sven Sorgenfrey (19.12.2010)

Label: Sony

Henry Threadgill: This Brings Us to (Volume II)

ThreadgillThisBringsUsToVol2Jazz für Fortgeschrittene: Mit seinen 66 Jahren lässt sich Henry Threadgill nicht mehr rumschubsen. Der Knochenmühle der Endloskette von Tourneen und Alben kann er sich endlich entziehen. Aber altersmilde ist er darüber nicht geworden. Mit dem aktuellen Longplayer geht er seinen Weg konsequent weiter. Er vereint serielle Konzepte neutönender Komponisten wie Arnold Schönberg mit mehrschichtigen afrokubanischen Rhythmen und der afroamerikanischen Blues-, Soul- und Jazztradition. Als Klangkörper dient ihm seine seit Jahren aufeinander eingespielte Band Zooid, in der er selbst Altsaxofon und Flöte spielt. So wenig eingängig die Musik ist, so stark fesselt sie den Geist sofort – und das Herz beim dritten Hören. Es lohnt sich, die Einstiegshürde zu dieser CD mutig zu überwinden. Sven Sorgenfrey (12.12.2010)

Label: PI Recordings

Toots Thielemans: European Quartet Live

Toots Thielemans - European Quartet LiveEr hat die Mundharmonika vom Klischee des Kinderspielzeugs und der Bluessirene, aber auch vom Stigma des Matrosenidylls befreit – und zu einem ernst zu nehmenden Instrument gemacht. Zumindest, wenn er sie selbst spielt. Es gibt heute so gut wie keinen Jazzmundharmonikaspieler, der sich nicht auf ihn beruft. Er hat mit den Gründerfiguren des Jazz gearbeitet, und was er macht, ist ganz die alte Schule: Mit klarem Ton und großer Spielfreude zelebriert er die Stücke, inszeniert aus den Gershwin-Klassikern „I Loves You Porgy“ und „Summertime“ ein spannendes Hörspiel. Wer je erlebt hat, wie Betty Carter „My Favourite Things“ dramatisierte, weiß, was ich meine. Mit dieser Eleganz und Präsenz geht das nur live. Großen Anteil an der Dynamik des Konzerts hat der kongeniale Schlagzeuger Hans van Oosterhout. Sven Sorgenfrey (5.12.2010)

Label: Challenge

Marc Ribot: Silent Movies

MarcRibotSilentMoviesWer bei diesem Album den atonalen, hochvirtuosen Experimentalimprovisationszauberer erwartet, wird überrascht. Ausnahmemusiker Marc Ribot besinnt sich hier auf seine Wurzeln als klassischer Gitarrist mit Stücken, die Filmmusik sind oder sein könnten. Diese konzeptionelle Klammer gibt praktisch ein konzentriertes Hören mit geschlossenen Augen vor: Jeder kann zu Ribots magisch-suggestiver Musik im Filmfundus der Erinnerung stöbern oder sich eigene Szenen ausdenken. Es sind ruhige Stücke, die ohne Brüche und Stimmungswechsel auskommen, meditative Kammermusik, deren Duktus auch etwas Bekenntnishaftes hat. Bei aller technischen Finesse verzichtet Ribot auf jedwede solistische Grandezza. Ein herbstliches Album, nicht fürs große Publikum, sondern für die stille Kemenate. Sven Sorgenfrey (14.11.2010)

Label: PI Recordings

Jazz Passengers: Reunited

JassPassengersReunitedSie tun es wieder! Nach 13 Jahren gibt es wieder ein Album und eine Tournee der Hofnarren des Jazz. Weder haben sie etwas verlernt, noch sind sie altersmilde geworden. Sie mischen immer noch mehr Stile und Zitate, als der landläufige Fan identifizieren kann, zu einem hintergründig-intelligenten Neuen zusammen – in immer überraschenden, durchdachten Arrangements. Es gibt viel Platz für freie Improvisationen über obligaten, mal mit-, mal gegeneinander laufenden Motiven. Es gibt abrupte Brüche, harsche Taktwechsel, Passagen, die wie Fremdkörper wirken, tonnenweise Selbstironie – ein fein geplantes zappaeskes Scheinchaos. Mit dabei sind jede Menge Stargäste, unter anderem die wunderbare Deborah Harry, Elvis Costello und Marc Ribot, alle drei alte Weggefährten der Passengers. Sven Sorgenfrey (7.11.2010)

Label: Yellowbird, Enja/Edel Kultur

Steve Coleman: Harvesting Semblances and Affinities

SteveColemanHarvestingMan kann Steve Coleman nicht vorwerfen, er schmisse sich mit plattem Kuscheljazz an sein Publikum ran. Der Saxofonist, Komponist und Bandleader will mit diesem Konzeptalbum zeitliche Eindrücke musikalisch umsetzen. Mit seiner legendären Band „Five Elements“ knüpft er komplexe Bedeutungs- und Klanggewebe, schafft stetig changierende puzzleartige Strukturen in Melodik, Harmonik, Rhythmus und Aufbau. Die Sängerin Jen Shyu dient dabei als emotional anrührende Verdauungshilfe der durchaus kühl-intellektuellen und sperrigen Musik. Shyu agiert dabei genauso uneitel und ensembledienlich wie die renommierten Mitmusiker. Trotzdem muss man genau hinhören, damit sich die Qualitäten der Songs erschließen. Spätestens jedoch nach dem dritten Durchlauf macht dieses Album süchtig. Sven Sorgenfrey (29.8.2010)

Label: PI Recordings/Alive

Joo Kraus: Songs From Neverland

JooKrausNeverlandDer Trompeter Joo Kraus und das Tales-In-Tones- Trio versuchen sich an den Songs von Michael Jackson. Mit akustischen Instrumenten verschieben sie die Titel in vollkommen testosteronfreie Sphären: Die Musik plätschert harmlos vor sich hin. Das klingt prima laid back – aber auch gähnend langweilig, wie eine stylisch-unverfängliche Klangtapete für schicke Einrichtungsgeschäfte. Die Melodien werden meist einfach nur nachgespielt. Das funktioniert bei den Strophen fast nie, denn die Trompete muss nun einmal nicht die Silben des Textes auf einzelne Töne verteilen wie Jacksons Gesang. Die Chance, die Stücke in Jazz zu übersetzen – und improvisierend nachzuforschen was sie wirklich hergeben – wird vertan. Einzig „Blame It To The Boogie“ und „The Way You Make Me Feel“ deuten dieses Potenzial an. Sven Sorgenfrey (22.8.2010)

Label: Content