Archiv der Kategorie: CD-Tipps

Raphael Wressnig: Party Factor

Raphael Wressnig - Party FactorMan sieht es dem Cover an: Feiern ist knochenharte Arbeit, zumindest für die Jungs in der Kapelle. Der österreichische Organist Raphael Wressnig begann die Suche nach dem heiligen Groove in seiner Pubertät. Mit unermüdlichem Eifer tourt er als Sideman einer Unzahl von Blues-, Soul-, Jazz- und Funkmusikern über den Globus, um hinter das Geheimnis der magischen Partyformel zu gelangen. Wie weit er dabei gekommen ist, zeigt seine Party-Factor-Band, in der sich neben einer formidablen Rhythmusgruppe jede Menge Blech um seine Hammond B3 schart. Die Musik ist ungeheuer funky, aber auch tiefgründig, schwarz, leicht, elegant und bemerkenswert humorvoll: Mit erfrischender Ironie parodiert Wressnig historische Lowlights der Schweineorgelmusik und wendet sie ins Geniale. Sven Sorgenfrey (8.8.2010)

Label: BHM

Eric Vloeimans Gatecrash: Heavansabove

VloeimansHeavensaboveEin großes Herz hat der niederländische Trompeter Eric Vloeimans, darin haben viele Stile Platz, die er seinem Personalstil unterwirft. Das Spektrum reicht von Hardbop, Mainstream Fusion, Rock, Funk, spanischen und orientalischen Anklängen bis hin zu melodieseligem Pop. Auf diesem breiten Terrain bereitet er seine eigenwilligen Kompositionen, von denen die schnellen grandios, zupackend und mitreißend sind. Für die langsamen braucht auch der Zuhörer ein großes Herz, denn hier will Vloeimans Geschichten erzählen, die er teils selbst noch nicht kennt. Wenn er sich mit seinem Keyboarder Jeroen van Vliet im Atmosphärischen verläuft, können Schlagzeuger Jasper van Hutten und Bassist Gulli Gudmundsson sie häufig wieder auf den rechten Weg führen. Das gelingt aber leider nicht immer. Sven Sorgenfrey (18.7.2010)

Label: Challenge

John Scofield: 54

JohnScofield54Der orthodoxe Jazzkenner ist ja gern äußerst skeptisch, wenn es um große Besetzungen geht. Die Musiker selbst freuen sich meist, wenn sie mal mit mehr als vier Leuten auf der Bühne stehen dürfen. So auch John Scofield, der schon auf seinem Album „Quiet“ mit Bläsersätzen experimentierte. Mit dem Metropole Orchestra, arrangiert von Vince Mendoza, wagt Scofield den Sprung in symphonische Sphären. Seine Kompositionen halten orchestralen Wohlklang aus, behalten ihren charakteristischen Witz und gewinnen durch Mendozas Arrangements sogar noch eine Dimension hinzu. Droht das Orchester ins Happy-End-Filmmusikhafte abzugleiten, bricht Mendoza ab und lässt Scofield – mal vergrübelt, mal verspielt, mal virtuos aber immer in feinster Spiellaune – die Grenzen des Themas ausloten. Sven Sorgenfrey (13.6.2010)

Label: Emarcy

Biografie John Scofield

Danny Bryant: Just As I Am

DannyBryantJustAsIAmDie großen Gitarrenhelden sind von der Bühne fast verschwunden: Sie werden von Luftgitarrenhelden nur schlecht ersetzt. In dieses Vakuum stößt Danny Bryant. Mit gerade mal 29 Jahren legt der Walter-Trout-Zögling schon sein siebtes Album vor: Musik wie eine Garagenband in den späten 70ern, mit dem Unterschied, dass Bryant singen (wie Gary Moore) und Gitarre spielen kann (wie Clapton, Albert Collins, Albert King). Seine Zutaten sind bratende Akkorde, eingängige Riffs, Melodien zum Mitsingen, schier uferloses Gitarrengegniedel und die unverfälschte Attitüde schwerstpubertierender Rockergören. Mutig weicht er Klischees weder musikalisch noch in den Liedtexten aus – das ist wundervoll authentisch. Unbedingt live und weder allein noch völlig nüchtern anhören! Sven Sorgenfrey (14.3.2010)

Label: Continental Blue Heaven

Sauer, Wollny, Kühn: IF (BLUE) THEN (BLUE)

SauerWollnyKuehnBlueEin halbes Jahrhundert nach "Kind of Blue" huldigt Heinz Sauer dem wegweisenden Album von Miles Davis – mit einer eigenwilligen Versuchsanordnung: In wechselnden Duos mit den Pianisten Michael Wollny und Joachim Kühn. Durchaus reizvoll ist das Zusammenprallen der grundverschiedenen Charaktere. Sauer gibt den eigenwilligen, altersweisen Klangzauberer, Wollny den experimentierfreudigen Genreverächter, Kühn den zwischen aufbrausendem Temperament und Innigkeit hin- und hergerissenen Heißsporn. Es sind kurze, skizzenhafte Stücke, in denen die Musiker das Terrain erkunden, stark fokussiert auf das eigentümliche Wesen des zugrunde liegenden musikalischen Materials. Dem Zuhörer verschlägt's den Atem, was den dreien dabei so nebenbei alles einfällt. Sven Sorgenfrey (11.1.2010)

Label: ACT

Meeting Point: Quintessence

MeetingPointQuintessenceManchmal drängt sich der Eindruck auf, dass jeder, der als innovativ gelten möchte, harmonische Anleihen in der Mongolei macht, melodische Inspiration beim Klezmer sucht, während er, kontrapunktisch tief in der Renaissance verwurzelt, zu hämmernden Technobeats nach korsischem Liedgut auf einer elektronisch verfremdeten Okarina improvisiert. Meeting Point verweigern sich derlei Eskapismus. Das Quintett spielt erfrischend geradlinigen traditionellen Jazz – mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, aber leicht, mit virtuosen Improvisationen, aber uneitel, intellektuell anspruchsvoll, aber emotional dicht. Das erinnert gelegentlich an das Zusammenspiel von Wayne Shorter, Freddie Hubbard und Cedar Walton. Und wenn man ganz genau hinhört, erkennt man die russischen Wurzeln des Pianisten. Sven Sorgenfrey (23.11.2009)

Label: Challenge

Magnus vom Bauernhof

MagnusFraGardenZwischentöne sind seine Sache nicht: Aus brachialen Bläserriffs, sägender Gitarre, hämmerndem Schlagzeug, Pogo, Punk, Freejazz und einem Schuss Leningrad Cowboys braut der dänische Biobauer Magnus Bak mit seinen Kumpels ein hochenergetisches Gemisch. Was sich zunächst anhört wie eine Heavy-Metal-Band und eine Zirkuskapelle unter dem Einfluss verschreibungspflichtiger Substanzen, ist bei genauerem Hinhören ganz schön komplex – respektlos, selbstironisch und hinreißend humorvoll. Genau der richtige Soundtrack, wenn man mal wieder für ein paar Tage zum Pastinakensortieren aufs Feld abkommandiert worden ist. "100 Prozent Ökojazz aus Bodenhaltung" steht auf dem Cover – exzessiver Gebrauch von Stromgitarren verhagelt Magnus aber am Ende die CO2-Bilanz. Sven Sorgenfrey (9.11.2009)

Label: Calibrated

John Abercrombie Quartet: Wait Till You See Her

John Abercrombie Quartet - Wait Till You See HerWährend andere Jazzmusiker mit den unterschiedlichsten Besetzungen, Stilen und äußeren Einflüssen experimentieren, bleibt John Abercrombie seiner Spielweise treu. Seit zehn Jahren steht das Quartett mit Mark Feldmann an der Violine und Joey Baron im Zentrum seiner Arbeit. Und das zahlt sich aus: In unfehlbarem Verständnis untereinander kultiviert das Quartett ein ungeheuer dichtes kammermusikalisches Ensemblespiel und freie Improvisationen, die in all ihrer Vertracktheit leicht und eingängig wirken. Kaum jemand spielt so sauber Gitarre wie Abercrombie, dessen Soli souverän auf jede Virtuositätshuberei verzichten. Mit ihrer nachdenklichen Stimmung und dem kristallklaren, warmen Gitarrenklang spendet diese Musik Trost – nicht nur an verregneten Herbsttagen. Sven Sorgenfrey (5.10.2009)

Label: ECM

The Nuskin: Oldnu

The Nuskin - OldnuDas Projekt Nuskin des Spaniers Carlos Cárcamo will Jazzmusik aus der Ecke des verschwurbelten Intellektualismus holen, sie mit modernen Sounds auffrischen und ihre Tanzbarkeit in den Vordergrund stellen. Weil es beim Tanzen auch um den "Komm, sie spielen unser Lied"-Effekt geht, bedient er sich Evergreens wie "All Blues", "Perdido", "At Last" oder "Fever", die von Alejandra Barella mit ihrem süßesten Mädchenstimmchen dargeboten und von Rap-Einlagen flankiert werden. Die Arrangements sind vielschichtig, die Stücke nehmen neue Wendungen, bekommen andere Farben. Die alten Songs vertragen die Soundeffekte prima, zumal diese sie nicht überlagern, sondern sinnvoll ergänzen – kurzum: Wo andere nur die Pose des Jazz imitieren, treffen Nuskin dessen Haltung. Sven Sorgenfrey (14.9.2009)

Label: Nuba-Records

Roy Hargrove Big Band

Der Mann hat Nerven! In einer Zeit, in der Jazzkonzerte immer seltener und dann gerne mal von Trios oder singenden Bassistinnen bestritten werden, damit die Vortragenden noch auf ihre Kosten kommen, in so einer Zeit tritt Roy Hargrove mit einer 19-köpfigen Big Band an. Mit Standards und neuen Songs zeigt er, wozu ein wohlsortierter Haufen Blech imstande ist: klotzige Akkordblöcke, jäh anschwellende Klänge, rumpelnde groovige Ostinati und darüber präzise hingetupftes, dräuendes Heulen und blitzehelle Fanfaren, plötzliche Breaks und Wechsel ins Kammermusikalische. Hargrove zitiert sich als Bandleader unbeschwert durch seine Vorbilder und erweist seinem Förderer, Wynton Marsalis, nicht zuletzt damit seine Reverenz, dass er sich als Solist bescheiden im Hintergrund hält. Sven Sorgenfrey (18.8.2009)

Label: Emarcy/Universal

Groovin‘ High: Live With Randy Brecker

Groovin High - LiveAlles, was August-Wilhelm Scheer anpackt, tut er mit dem Ehrgeiz, in der ersten Liga zu spielen: als Gründerchef von IDS Scheer, als Professor für Wirtschaftsinformatik, als Bitkom-Präsident – und als Baritonsaxofonist. Deshalb spielt der Hobbyjazzer nur mit Profis, so auch bei Groovin' High, sozusagen der Hausband von IDS. Bandleader ist der Schlagzeuger Oliver Strauch und Zugpferd der Flügelhornist Randy Brecker. Die ungeheure Anspannung des Laien unter Profis ist Scheers Soli jedoch kaum anzumerken. Verstärkt durch Bass, Piano und Tenorsaxofon spielen sie einen wunderbar groovenden und geradlinigen Postbop – einige wenige Eigenkompositionen und das Real Book rauf und runter. Vielleicht überlässt Scheer IDS jetzt anderen, um noch intensiver an seinen Soli feilen zu können. Sven Sorgenfrey (20.7.2009)

Label: Soulfood

Eric Legnini Trio: Trippin‘

EricLegniniTrioTrippinMit dem dritten Trio-Album präsentiert sich der Belgier Eric Legnini als ausgesprochen kompletter Pianist. Mühelos wechselt er vom erdnusskompatiblen Kammerjazz zu Blues, Soul, Drum &#039n&#039 Bass und allerlei dazwischen. Verspielt geht er seinen Ideen nach, nie verschwurbelt, nie pianistisch-angeberisch, sondern neugierig, souverän, reduziert und musikalisch überaus erfahren. Sein Ton ist ebenso trocken und präsent wie der seiner ungeheuerlich groovenden Kollegen, Franck Agulhon (Schlagzeug) und Mathias Allamane (Kontrabass). Richtig knackig wird es, wenn Legnini sein Fender-Rhodes-Piano auspackt: Da gibt es eingängige Refrains, fette Basslinien, und Agulhon trommelt Band wie Zuhörer in Trance. Das geht sofort in die Beine, ohne im Mindesten den musikalischen Verstand zu beleidigen. Sven Sorgenfrey (6.7.2009)

Label: Discograph/alive

Bart Wirtz Quartet: Prologue

Bart Wirtz Quartet - PrologueDer niederländische Altsaxofonist Bart Wirtz strebt mit diesem Album heraus aus dem europäischen Reservat der improvisierten Musik. Seine Kompositionen sind eigenwillig, seine Melodien oft lakonisch. Seine Improvisationen loten das musikalische Material gründlich aus, geraten dabei aber nie langatmig, selbstverliebt-verknöselt oder elegisch-glatt. Im Gegenteil: Fest im Hardbop verwurzelt und offen für andere Einflüsse und Spielarten des Jazz fleddert er nach Lust und Laune den Pantheon seiner musikalischen Vorbilder. Statt aber in Verehrung zu verharren, bedient er sich souverän ihres Vokabulars, persifliert sie, ohne sie bloßzustellen, und entwickelt so lustvoll einen ganz persönlichen und unverwechselbaren Stil. Es ist gleichermaßen genuss- und lehrreich, ihm dabei zuzuhören. Sven Sorgenfrey (28.6.2009)

Label: Challenge

Wolfgang Torkler: Raum

Wolfgang Torkler - RaumWenn sich ein mit Berklee-Weihen versehener Latin-Jazz-Pianist allein ans Klavier setzt, entsteht eine gewisse Erwartungshaltung. Die enttäuscht Torkler jedoch gern und gründlich. Was der Mann hier spielt, hat mit Samba so viel zu tun wie Kuba mit Vorpommern: In Zeitlupe entringt er einfachsten Melodien erwartbare Harmonien, grübelt auf minimalem musikalischen Material herum, ohne erkennbare Fortschritte zu erzielen. Das atmet den Weltschmerz eines Pubertierenden aus, der nach einer Überdosis Eichendorff die Trauer über den Tod von Nscho-tschi in Winnetou I tagelang am Fortepiano zu sublimieren versucht. Man wünscht ihm eine wie Betty von den Peanuts aufs Klavier – die zumindest den Versuch unternimmt, ihren Schröder der verknöselten deutschen Pianistenwelt zu entreißen. Sven Sorgenfrey (21.6.2009)

Label: Phonektor

Roberto Fonseca: Akokan

FonsecaAkokanEr ist der Shootingstar unter den kubanischen Musik-Youngstern. Mit seinem letzten Album gelang Roberto Fonseca der Sprung aus der Schattenexistenz eines Sideman zum Solisten. Nun setzt er seinen Weg mit alten Gefährten und Gästen konsequent fort. Das Ergebnis ist beileibe keine gefällige Erzeugerabfüllung von Bacardi-seligem Latin Jazz. Fonseca webt die genretypisch changierenden rhythmischen Gewebe aus Klavier und Latinoschlagwerk elegant in die Arrangements. Besondere Qualitäten bezieht seine Musik aus ihrer erzählerischen Kraft: Mit raffinierten Kompositionen inszeniert Fonseca aus scheinbar harmlosen Melodien effektvolle Dramen, in denen sich karibische Leichtigkeit und Melancholie zu einer sehr eigenen emotional aufgeladenen Kunstmusik verdichten. Sven Sorgenfrey (7.6.2009)

Label: Enja