Die Rolls fließen traumhaft locker, werden von kraftvollen Kantenschlägen auf der Snare und rhythmischem Beckenzischen zur machtvollen Demonstration eines dynamischen, aber auch sensiblen Schlagwerkers, bei dem jeder Akzent sitzt. Fünf Minuten lang ergießt sich ein magisches Donnerwetter aus Wirbeln, Fills, Patterns und polyrhythmischen Figuren: Mit dieser Intensität beherrschen nur wenige Drummer ihr Arbeitsgerät.
Ein Live-Album, das mit einem Drum-Solo beginnt!!! So etwas muss man sich erstmal trauen. Okay – Art Blakey ist schon 2005 verstorben und konnte diese Entscheidung nicht mehr beeinflussen. Aber – wer immer sie getroffen hat – sie ist richtig. Blakey sitzt nicht umsonst im Drummer-Pantheon ganz oben. Und das Intro zu „Now’s the time“ lässt keine Wünsche offen.
Wo soll man anfangen mit der Lobeshymne? Es handelt sich um ein erstmals veröffentlichtes Live-Konzert der legendären Jazz-Messengers in Tokyo am 14. Januar 1961 aus den Archiven der Plattenfirma Blue Note. Mit Lee Morgan (Trompete), Wayne Shorter (Tenorsaxophon), Bobby Timmons (Piano) und Jymie Merritt (Bass) ist dabei die (wahrscheinlich) beste Besetzung der Messengers am Start. Ja – alle Stücke über „Moanin'“, „Night in Tunesia“ bis „Dat Dere“ liegen von Art Blakey mehrfach in Live-Versionen vor. Trotzdem hat mich dieses Album vom Hocker gehauen. So viel Kraft, Energie und musikalischen Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört. (Wahrscheinlich sollte ich wieder öfter ältere Produktionen hören?!)
Es gibt noch eine andere LP/CD von der 1961er Japan-Tour, die 2014 erschienen ist. Die enthält bis auf wenige Ausnahmen die gleichen Songs (von anderen Auftritten), aber das kraftvolle „Now’s the time“ zum Beispiel ist dort nicht vertreten. Alleine das rechtfertigt schon die Anschaffung dieser Preziose.
Noch einmal die musikalischen Karrieren Blakeys und seiner Mitstreiter nachzuerzählen, macht wenig Sinn. Trotzdem sei noch einmal auf seine Polyrhythmik hingewiesen. Die ist neben seinem unglaublichen „Bums“ eine Charakteristik, die ihn für viele Drummer zum Vorbild machte. Ende der 40er Jahre verbrachte er zwei Jahre in Afrika, trat dort zum Islam über und beschäftigte sich mit afrikanischer Musik. Nach seiner Rückkehr gehörte er der sagenumwobenen Sugar-Hill-Harlem-Clique um Sonny Rollins an und wurde wie viele Mitglieder dieser Gruppe zum Junkie.
Das hinderte ihn aber nicht daran, bei seiner Plattenfirma Blue Note einer der erfolgreichsten Single-Stars zu werden. 45er-Platten wie „Dat Dere“ wurden zu Jazz-Hits. Und das Heroin hatte Blakey schon bald hinter sich gelassen.
Aber zurück zu diesem Album: Es rockt, es groovt, es swingt. Auch der verstorbene Blue-Note-Gründer Alfred Lion, von dem das Motto „It must schwing“ stammt, hätte mit Sicherheit seine Freude daran. Was bleibt jetzt noch? Da kann ich zum Beispiel die wunderbaren Soli und Bläsersätze der Sidemen (die diese Bezeichnung natürlich nicht verdient haben) loben: Morgan bläst auf seiner Trompete Figuren, die wie entfesselte Bop-Phrasen aus dem Jazz-Lehrbuch klingen, Shorter am Tenorsaxophon beweist nicht nur bei „Moanin'“, warum die Band zur Hard-Bop-Fraktion gehört und Timmons zeigt auf dem Piano, wie man durch Blockakkorde Modern Jazz mit Swing und New Orleans verbinden kann.
Auch wenn dieses Album wenig „Neues“ präsentiert: Für mich gehört es durch seine ungestüme Wucht und Kraft – wie auch durch seine schlafwandlerische Sicherheit, die Harmonien mit einem nicht zu bändigenden Sturzbach aus halsbrecherischen Tonkaskaden zu füllen – zu den Highlights des Jahres.
Label: Blue Note Records/Universal Music
Foto: Hozumi Nakadaira