Wow – diese Frau degradiert einen Tsunami zu einem lauen Lüftchen. (Interessante Frage: Lande ich nach einem solchen Satz sofort in der „MeToo“-Rasterfahndung?) Bette Smith hat eine Phrasierungstechnik, die sich vor Soul-Heroen von Etta James bis Otis Redding nicht verstecken muss – und verballert dermaßen viel Energie, dass sie ihre Zuhörer achtkantig aus den Latschen pustet. Das aktuelle Album („Jetlagger“) der New Yorker Sängerin ist ein großes Versprechen: zehn Songs von denen knapp die Hälfte echte Qualitätsware sind.
Doch einiges wirkt an der Dame mysteriös: Ihre US-Plattenfirma (Big Legal Mess/Fat Possum) promotet „Jetlagger“ als ein Newcomer-Album. Das ist für Miss Bette Smith auch nicht falsch. ABER: Bette Smith hieß früher mal Bette Stuy und brachte seit 2006 schon einige CDs auf den Markt, die – das kann man ganz klar sagen – ziemlich klasse waren, aber kommerziell herbe floppten. Auch der leider schon 2004 verstorbene Ray Charles war von ihrem Talent beeindruckt und wollte mit ihr zusammenarbeiten. 2012 schaffte es die gute Frau Stuy in die „New York Blues Hall of Fame“ – eine „Newcomerin“ mit einem „Debut-Album“ ist sie also keinesfalls. Und (Überraschung) Bette Stuy heißt laut Geburtsurkunde tatsächlich Smith – genau genommen Sharon M. Smith.
Egal – die routinierte Musikerin aus dem Stadtteil Bedford Stuyvesant (für Connaisseure: abgekürzt auch Bed Stuy genannt) in Brooklyn ist nicht die erste Künstlerin, die von der Plattenfirma eine neue Identität verpasst bekommt um von ihrem Management neu aufgebaut zu werden. Und das, was die Sängerin und Songwriterin an musikalischer Substanz mitbringt, ist außergewöhnlich gut. Sogar ihr neuer Styling-Berater, der Miss Stuy ihre damenhaften Kleider gestrichen hat und Miss Smith in engsitzende grelle Sixties-Retro-Klamotten gezwängt hat, machte keinen schlechten Job. „It’s like a Cinderella story“, erläuterte sie in einem Interview. Die etwas rührselige Familiengeschichte, die man ihr samt Gospelchor-Vergangenheit zu PR-Zwecken verpasst hat, übergehen wir hier besser.
Nun aber zu „Jetlagger“: Das Album ist musikalisch wesentlich rockiger ausgefallen als die Vorgänger. „From The Well Of My Inner Child“ (2006) und die EP “This Is Neo-Blues“ (2015) waren blues- und soullastiger. Und nun, 2018, bricht die Sängerin zu einer Tour de Force durch die Sixties-Soul-Ära auf – unterlegt die Coverversionen von Isaac Hayes (“Do Your Thing”), den Staple Singers (“City in the Sky”) bis Lone Justice (“I Found Love“) mit erdigen Rock-Teppichen. Dieses Fremdmaterial gehört – so viel sei schon mal verraten – zu den Glanzstücken des Albums.
Richtig los geht es eigentlich erst ab Song vier: „I found love“ kommt als knallharter Rocker daher und reißt einen sofort mit. Da versucht die geborene Miss Smith weniger ihre unumstrittenen Power-Qualitäten in den Vordergrund zu stellen, sondern singt schnörkellos nach vorne.
Einen ähnlichen Eindruck vermittelt „Manchild“, ein ebenfalls geradliniger Rocker der mit seinen satten Bläsersätzen aber wesentlich komplexer klingt. Trotz holprigem Power-Schlagzeug wirkt der Song den der Produzent Jimbo Mathus der kraftstrotzenden Sängerin auf den Leib geschrieben hat, ziemlich rund.
Das trifft auch auf die Mathus-Songs “Durty Hustlin“ und “Shackle & Chain” zu. Ein Rätsel bleiben jedoch die häufig überladen unstrukturierten Arrangements, die manchmal so klingen als hätte man eine Jam-Session mitgeschnitten. „Es war wirklich wundervoll. Alles wurde live aufgenommen“, berichtete die Sängerin von den Recording-Sessions. Doch bei diesem sympathisch klingenden aber oft nur preiswerteren Aufnahmeverfahren bewahrheitet sich der alte Spruch: Etwas weniger (Instrumental-Gewusel) wäre mehr! Und viele Kompositionen sind einfach bei irgendwelchen Standard-Riffs abgekupfert. Das ist bei Live-Auftritten mit Sicherheit kein Fehler, auf einem Studio-Album stellen sich dabei jedoch jede Menge Déjà-vu-Momente ein.
Was bleibt? Eine kraftstrotzende Sängerin mit einer mitreißenden Stimme – die aber auch nach dem Karriere-Neustart noch nicht ganz in die Spur gefunden hat. Für mich ist diese Platte ein Versprechen an die Zukunft. Etwa die Hälfte der Stücke sind große Klasse – der Rest aber klingt nach Füllmaterial. Singen kann Bette Smith wie nur ganz wenige andere. Das hat sie auch mit diesem Album bewiesen.
Fotos: PR (Aufmacher: Melanee Brown; Einklinker: Shervin Lainez)
Label: Big Legal Mess/Fat Possum