Rodger Cicero Close-up © PR/Mathias Bothor

Roger Cicero im Interview: „Dann wird es mal Zeit für eine neue Erfahrung“

Der Mann arbeitet konsequent an seinem Bild. Nie oben ohne aus dem Haus gehen, weder dem Klischee des Frauenverstehers noch dem Ruf des Machos widersprechen, nur nicht zu viele Ecken und Kanten zeigen, sondern lieber von seinem Faible für Yoga reden. Und der Erfolg gibt Roger Cicero Recht: Auch mit seinem aktuellen Album „Was immer auch kommt“ hat es der 44-jährige Sänger im Frühjahr wieder in die Charts geschafft, auf seiner derzeitigen Tour präsentiert sich der Jazz- und Swingmusiker mit seiner Big Band in den großen Sälen Deutschlands. Zum Interview erscheint Cicero natürlich mit Kopfbedeckung – und denkt auch im Gespräch mit Christoph Forsthoff nicht daran, die Schiebermütze abzulegen.

Hat Ihre Mutter versäumt, Ihnen beizubringen, dass man in Gesellschaft seine Kopfbedeckung abnimmt?
Roger Cicero (lacht): Nein, das hat sie weder versäumt, noch habe ich es ignoriert. Das war einfach nie ein Thema.
Nichtsdestotrotz ist es in unseren Breitengraden eigentlich üblich, in geschlossenen Räumen beim Gespräch mit anderen Menschen seine Kopfbedeckung abzunehmen.
Dann wird es mal Zeit für eine neue Erfahrung.
Sie betrachten das also als überholt, wenn Ihr Gegenüber diese Geste der Höflichkeit von Ihnen erwartet?
Das weiß ich nicht. Aber es gibt ganz sicherlich vieles, das ehemals als gute Erziehung galt und das heute nicht mehr zeitgemäß und unbedingt nötig ist.

Das Comeback der Schiebermütze, so war in der „Zeit“ zu lesen, sei verbunden mit einer gewissen melancholischen Nostalgie – allerdings sollte man vermeiden, diese als Museumsstück zu tragen wie Sie …
Das habe ich nicht mitbekommen – was aber auch ganz gut ist, denn wenn ich alles lesen müsste, was über mich geschrieben wird, hätte ich keine Zeit mehr, andere Sachen zu machen.
Gibt es bei Ihnen einen Hang zur Nostalgie?
Nein, denn ich finde es eine sehr aufregende Zeit, die ich gerade durchlebe. Ich bin ein relativ bodenständiger Mensch, versuche im Heute zu bleiben und mich immer wieder dahingehend auszurichten.
Das klingt weder nach dem Frauenversteher noch nach dem Macho, um mal zwei Klischees von Männern zu nennen, die gern im Zusammenhang mit Ihren Liedern bemüht werden – was für ein Typ Mann sind Sie denn im normalen Leben?
Klar gibt es solche Klischees, die natürlich auch in gewissen Erfahrungen begründet sind. Aber es wird schwierig sein, jeden Mann in irgendeine Schublade zu packen, die komplett auf ihn passt. Insofern würde ich mich auch eher als einen Mann mit verschiedenen Facetten sehen.
Eine Facetten-Vielfalt, die in der heutigen Musikwelt immer weniger gefragt zu sein scheint, wenn man Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ verfolgt. Allein: Können solche Casting-Shows den Teilnehmern tatsächlich einen Weg ins Musikbusiness eröffnen?
Cicero: Wenn man wirklich den Wunsch hat, Musik nachhaltig als Beruf auszuüben, ist das keine Sendung, die einem wirklich hilft geschweige denn einen ausbildet.
Nun suggerieren solchen Sendungen ja, es gehe vor allem darum, seine Emotionen zu zeigen…
… doch ohne Beherrschung des Instruments geht’s nicht, denn Musik ist ja auch ein Handwerk und nicht nur Gefühl – und das wird oft missverstanden. Was nutzen einem die tollsten Gefühle, wenn man sie nicht umsetzen kann? Insofern ist die Ausbildung schon das A und O – allerdings ist eine Ausbildung ohne Emotion, Spielfreude und Leidenschaft auch nichts wert.
Für eine Karriere sind solche Castingshows also keine Hilfe…
Eine Sendung wie DSDS ist einfach nur eine Plattform und ein großer Hype, doch sie bildet nicht aus oder verbessert die musikalischen Fähigkeiten, sondern die Teilnehmer werden einfach nur auf einen Präsentierteller gestellt – ohne Nachhaltigkeit.
Was indes weder Teilnehmer noch Zuschauer abzuschrecken scheint…
… für die Zuschauer ist es eine Unterhaltungssendung, die durchaus ja ihren Reiz und einen großen, emotionalisierenden Unterhaltungswert hat. Man lernt Leute kennen, leidet und fühlt mit denen. Das anzugucken, macht Spaß – ich schaue mir das auch manchmal an.

Nicht nur dort werden Worte wie Star oder auch Superstar geradezu inflationär verwandt – was macht für Sie denn einen Star aus?
Das sind Leute mit einem großen Maß an Charisma – und auch immer Menschen, die ihren Beruf wirklich beherrschen. Und dies eben mit einem großen Charisma verbinden wie auch der Fähigkeit, dies nach außen zu tragen.
Und was macht einen dann zum Superstar?
Der Bekanntheitsgrad. Ein Star ist in seiner Heimat und vielleicht noch in den angrenzenden Nachbarländern bekannt, ein Superstar international – und wer weltweit bekannt ist, ist dann ein Megastar… irgendwelche Steigerungen brauchen wir ja.
Haben Sie Ambitionen, ein Superstar zu werden?
Mit deutschsprachiger Musik ist es schwierig, international wirklich bekannt zu werden – und ob ich den Ehrgeiz habe? Klar würde mich das freuen, auch international unterwegs zu sein, doch ist es keineswegs selbstverständlich, dass Künstler, die in einem Land großen Erfolg haben, auch in anderen Ländern funktionieren.
Ein Superstar ist zweifellos Prince – ein Künstler, den auch Sie sehr verehren. Was hat er, das Sie nicht haben?
Er ist in allem nahezu perfekt und vereint sehr viele Berufe in einer Person. Er ist ein Ausnahmesänger, ein Ausnahme-Songschreiber, ein Ausnahmegitarrist; er ist Produzent, Performer, Tänzer – und all das mit einer unglaublichen Perfektion. Er ist eines der wenigen, lebenden Genies, die wir in der Musikbranche haben – und ich würde mich nicht als Musikgenie bezeichnen.

Doch auch als Genie hat Prince sich mit den gleichen Problemen wie Sie herumzuschlagen – etwa dem illegalen Download von Musik im Internet. Verdirbt einem das gelegentlich den Spaß an der Musik?
Ich bin sehr froh mit dem, was ich erreicht habe. Mir geht es vor allem um das Live-Erlebnis auf der Bühne – und das mache ich nach wie vor mit sehr großer Freude. Und insofern macht es mir definitiv Spaß.
Doch auch Sie bleiben sicherlich vom Musikklau im Netz nicht verschont.
Der illegale Download ist ein sehr schwieriges Thema, das ich auch immer wieder anspreche, um den Leuten ins Bewusstsein zu holen, dass das Diebstahl ist. Das ist, als ginge ich in eine Bäckerei und nähme mir aus der großen Menge von Brötchen drei heraus, ohne diese zu bezahlen, weil ich halt denke: Da sind doch genug. Klar sind es nur ein paar Cent, aber es ist trotzdem Diebstahl.
Wie stark trifft Sie der materielle Schaden?
Der Schaden mag sich bei einer Einzelperson noch in Grenzen halten, aber es geht vor allem um dieses allgemeine Bewusstsein: Das ist doch alles nicht so wild, die Plattenfirma und die Künstler können sich das doch leisten. Zumal es ja noch ganz andere Auswirkungen hat: Sehr viele Jazzmusiker bekommen heute gar keine Plattenverträge mehr, weil es einfach keine Jazzabteilungen mehr gibt – die wurden nicht zuletzt wegen dieser Einbußen alle eingestampft.
Von daher ist Ihre Prioritätensetzung ja perspektivisch richtig, wenn Sie sagen, wesentlich seien für Sie die Live-Auftritte, die Alben hingegen nur ein Nebenprodukt.
Früher habe ich sehr ungern im Studio gearbeitet, aber das hat sich ein wenig gewandelt. Mittlerweile schätze ich das Aufnehmen auch sehr, aber es ist etwas ganz anderes als der Kick, den mir das Live-Moment auf der Bühne verleiht.

Neben der Sympathie fürs Studio scheinen Sie seit drei Jahren auch die Liebe zum Texten entdeckt zu haben – oder waren Sie nach drei Alben mit Ihrem Texter Frank Ramond einfach das ewig gleiche Thema des Geschlechterkampfs leid, zumal Ramond dieses ja in ähnlicher Weise auch für Ina Müller, Barbara Schöneberger und Annett Louisan aufbereitet.
Ich habe mit Frank und Matthias Haß ja drei Alben aus einem Guss produziert und wir waren wirklich gut eingespielt – und es war auch nicht so, dass ich bei seinen Vorschlägen gedacht hätte: Was soll das denn nun schon wieder? Ich finde es nach wie vor sehr amüsant, diese Lieder und Texte zu singen, die Themen sind ja auch gemeinsam entstanden…
…und doch haben Sie sich nun für die eigene Feder entschieden.
Es war mir einfach ein Bedürfnis, jetzt auch einmal ein paar andere Facetten aufzuzeigen – sowohl musikalisch als auch textlich. Sachen, die mich persönlich beschäftigen und die bei den letzten Alben nicht so im Vordergrund standen; aber auch Themen, über die ich gern Geschichten erzähle, denn ich sehe mich ja auch als Geschichtenerzähler.
Geschichten indes, die ähnlich wie Interviews mit Ihnen sehr im Allgemeinen bleiben. Erzählen Sie ungern Persönliches über sich?
Naja… nein, das würde ich jetzt so nicht unterschreiben. Ich weiß nicht, wie persönlich Sie es gerne hätten – vielleicht wollen Sie noch viel mehr Persönliches, als ich in der Tat bereit bin, in der Öffentlichkeit preiszugeben. Aber das finde ich auch gerechtfertigt: dass Sie mehr möchten – und ich nicht so viel preisgeben möchte.

© Christoph Forsthoff. Alle Rechte vorbehalten

Foto: ©PR/Mathias Bothor

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