Dürfen die das? Eine britisch-skandinavische Jazzband, die sich einen altgriechischen Namen zulegt? Phronesis – was auf gut deutsch Klugheit heißt – kann eigentlich nur auf zwei Dinge hinweisen: Gnadenloses Selbstbewusstsein oder hemmungslose Dummheit. Hier trifft Punkt eins zu! Laut dem griechischen Allzweckphilosophen Platon ist Klugheit die „Vermittlerin zwischen göttlicher Weltordnung und menschlicher Selbstverwirklichung“. Im Falle des 2005 gegründeten Trios aus London kann man dem nur zustimmen: Phronesis sind drei Ausnahmetalente, deren musikalische Inspiration aus einer anderen Welt zu stammen scheint – dem Universum der Jazzgötter.
Passenderweise verwendeten die Musiker als Titel ihres mittlerweile fünften Abums auch noch ein Philosophie-Zitat: „Life to Everything“ – was ebenfalls von Platon stammt. “Music gives a soul to the universe, wings to the mind, flight to the imagination, and life to everything“, heißt der Satz vollständig. Willkommen im siebten Jazzhimmel!
„Life to Everything“ ist Modern Jazz in Reinkultur, aber nicht museal, zitierend oder manieriert – sondern absolut begeisternd. Immer wieder ergießen sich Piano-Sturzbäche über hektische Stakkatobassläufe, dann wieder schmiegen sich geschmeidige Tastenakkorde harmonisch an träumerische Schlagzeugfiguren. Mal donnert der Bass brachial, dann schmeichelt er verführerisch und dann wieder galoppiert er ungestüm durch oft vertrackte Akkordfolgen. Oder kommt wie bei „Behind Bars“ unauffällig begleitend daher – um sich irgendwann zu majestätischen Höhenflügen aufzuschwingen.
Auch in der britischen Wahlheimat des kosmopolitischen Trios sind sich die Kritiker einig: „Das wohl aufregendste und imaginativste Piano-Trio seit EST“, jubelte das Fachmagazin „Jazzwise“. Die Formation „rauscht mit spielerischer Leichtigkeit selbst über die irrwitzigsten rhythmische Passagen“, lobte der „Guardian“. Sogar die altehrwürdige BBC geriet ins Schwärmen. Phronesis „können dein Leben verändern“, orakelte Moderator Sean Rafferty.
Hier sind drei absolute Spitzenkönner am Werk: Die klassische Aufteilung in Rhythmen-Section und Solisten hat Phronesis anscheinend nie in Erwägung gezogen – oder bestenfalls als ironische Reminiszenz abgehakt. Magische Momente produziert das vom dänischen Bassisten Jasper Høiby gegründete Trio pausenlos, in die Quere kommen sich die Musiker nie. Wie junge Raubkatzen spielen sie ständig mit- und gegeneinander. Necken sich, täuschen eine Finte an oder versteigen sich auch mal in musikalische Drohgebärden (Jetzt mach ich Euch alle platt!) – finden aber immer wieder zurück zu vollkommener Harmonie.
Klar – für Leute die mit Modern-Klängen nichts am Hut haben, ist dieses Album unnötig. Aber für den Rest gibt es nur eins: kaufen, downladen, tauschen, klauen was auch immer. „Life to Everything“ braucht jede klug sortierte Sammlung – und ein bisschen klüger wollen wir doch schließlich alle werden!
Willy Theobald
Label: Edition Records
Hörbeispiel: Phronesis – Walking Dark (Soundcloud)