Stefan Gwildis

Stefan Gwildis im Interview: „Materielle Güter werden nie der Weisheit letzter Schluss sein“

Mr. Soul? Nun, spätestens seit Stefan Gwildis gemeinsam mit der NDR Bigband „Das mit dem Glücklichsein“ angepackt und auf dem gleichnamigen Album eingespielt hat, lässt sich der charismatische Mann mit dem rauen, schwarzen Stimmschmelz nicht mehr auf dieses Genre eingrenzen: Der Hamburger hat einfach den Jazz in all seinen Facetten in der Reibeisen-Kehle. Aktuell sind das Weltklasse-Ensemble und der 55-Jährige mit den eingedeutschten Klassikern von Cole Porter bis Jamie Cullum auf Tour durch die Republik – und der unverschämt gut aussehende Mann setzt dabei mitnichten allein auf Jazz-Liebhaberinnen: „Das sind ja keineswegs nur Frauen bei mir im Publikum – ich bin ja nicht Howard Carpendale“, schmunzelt der Soulbrother. Christoph Forsthoff hat mit Stefan Gwildis über Jazz, Heinz Erhardt und das Glück gesprochen.

Sind Sie glücklich?
Stefan Gwildis: Im Moment habe ich privat und musikalisch nichts zu meckern. Es ist schon eine tolle Sache, eine gute Familie und so einen schönen Job zu haben und mit anderen Menschen gemeinsam musizieren zu können. Und nun auch noch mit der NDR Bigband unterwegs zu sein mit solch einem Arrangeur und Dirigenten wie Jörg Achim Keller: Das beflügelt mich und macht mich sehr glücklich.
„Das mit dem Glücklichsein“ ist also Programm – da können Sie uns ja sicher auch erklären, wie das denn nun funktioniert mit dem Glücklichsein?
Gwildis (lacht): Da habe ich natürlich ein ganz schönes Eigentor geschossen… ja, das ist die große Frage: Was sind die Voraussetzungen dafür? Von der Musik her betrachtet, heißt das für mich, mit anderen Menschen gemeinsam zu musizieren, zu atmen und auf den Rhythmus zu achten. Man groovt und schwingt gemeinsam mit anderen Menschen für einen guten Gleichklang.
Und privat?
Gwildis: Da gilt das ebenso: Wenn ich mit anderen Menschen gemeinsam schwinge, nicht mehr im Gestern bin und auch nicht im Morgen, dann hat auch das viel mit gemeinsamen Grooven zu tun. Das kann beim Musizieren wie beim Sex sein – oder wenn ich mit meinem Sohn zusammen bin und wir herumflachsen: Auch das bekommt dann so einen schönen Groove, den ich klasse finde.

Gemeinsamer Groove gleich Glück – vielleicht sollten wir in Deutschland das Grooven gesetzlich verankern so wie in Bhutan das Bruttosozialglück…
Gwildis (lacht): …das ist auf jeden Fall eine tolle Anregung! Was uns hier ständig vorgespielt wird, den ganzen Schmodder, den man vermeintlich bräuchte: ganz viel dummes Zeug. Materielle Güter werden nie der Weisheit letzter Schluss sein – und trotzdem jagt man erstmal diesen Dingen hinterher. Dabei müsste man mit dem Grooven nur bei sich selbst anfangen. Denn eben um diesen ganz eigenen Groove geht es ja, wenn man merkt, dass man mit sich selbst nicht so im Einklang ist, wie man sich das eigentlich wünscht.
Statt dickem Auto und großem Haus…
Gwildis: …ist meine Empfehlung da immer die Hamburger Formel: Einmal zum Hafen gehen, auf’n Poller setzen, Schiffe gucken und Schnauze halten – da kommt dann schon etwas anderes bei raus.
Von daher machen ausverkaufte Konzerte und viele verkaufte Alben also auch bestenfalls zufrieden, aber nicht glücklich?
Gwildis: Klar sind ausverkaufte Konzerte toll. Aber wenn ich zurückdenke, waren es eben manchmal auch Auftritte, die wir vor 20, 30 Leuten gespielt haben – wie etwa ein legendäres Stromboli-Konzert in Laboe bei Kiel: Das war einfach fantastisch! Jürgen Attig hatte damals eine Fischvergiftung gehabt, Christian…
…von Richthofen…
Gwildis: …und ich waren total übermüdet, aber der Abend selbst dann bleibt unvergessen, der war ganz großartig. Eine richtig volle Hütte ist eben keineswegs der Garant – und das ist eigentlich das Schöne daran: Man kann ein paar Sachen für ein gutes Konzert tun, aber auf das letzte Viertel, wo dann richtig etwas hochkocht und sich entwickelt, da hast du keinen Einfluss.
Was macht denn ein gelungenes Konzert aus?
Gwildis: Der gemeinsame Groove (lacht)… Der Dialog zwischen den Musikern und mir oder jetzt in dieser Konstellation, wenn das Dreieck zwischen Bigband, Dirigent Jörg Achim Keller und mir anfängt zu schwingen, diese Schwingungen ins Publikum und wieder zurückgehen: Setzt solch ein Dialog ein, dann wird es ein tolles Konzert.

Macht Jazz glücklicher als Soul?
Gwildis: Jazz und Soul sind ja sehr artverwandt, haben die gleichen Wurzeln. Es ist größtenteils Musik von farbigen Amerikanern, und in dieser Musik gibt es ein großes Grundthema – und das heißt bis heute Freiheit. Wie erlangt man sie, wie geht man damit um, was bedeutet das für den Menschen – übrigens ein Thema, das eng an das Glück gekoppelt ist.
Nun spielt ja die Freiheit im Jazz wie im Soul nicht allein historisch eine wichtige Rolle, sondern auch beim Musizieren und Improvisieren selbst.
Gwildis: Ja, es gibt eine Menge Freiräume, wo man den eigenen Platz finden kann und muss. In diesem Fall mit der NDR Bigband ist es allerdings mehr so, dass es schon ganz starke Arrangements gibt, wo ich mich auch gern unterordne oder hinten anstelle. Mir wird da ein musikalisches Bett bereitet, wo ich mich gern reinlege.
Wie kam es eigentlich zu diesem Projekt mit der NDR Bigband?
Gwildis: 2008 gab es bereits einmal eine Zusammenarbeit, als der Trompeter Thorsten Maaß einige Soulsongs arrangiert hatte für mehrere gemeinsame Auftritte. Als das dann abgespielt war, haben wir uns gefragt: Was machen wir als nächstes Projekt? Und da hieß es: Lass uns mal das machen, was die NDR Bigband am besten kann…
…also Jazz…
Gwildis: …und da rennt man bei mir natürlich offene Türen ein: Ich habe früh durch meine Eltern schon ganz viel Jazz gehört – mein Vater war ein großer Liebhaber dieser Musik samt ihrer ganzen Geschichte. Und da er Reifenhändler war und immer Give-aways von der Firma Goodyear bekam, habe ich schon als kleiner Buttje Ella Fitzgerald, Louis Armstrong und diese ganzen Sachen gehört.

So mancher dieser Songs aus dem „Great American Songbook“ findet sich ja nun auch – eingedeutscht – im Programm mit der NDR Bigband. Keine Angst vor Vergleichen mit anderen großen Musikern oder vor dem Abrutschen in Retro-Seligkeit?
Gwildis: Ich war da ja glücklicherweise nicht allein, sondern es gab Teams, die in puncto Texten und Arrangements zusammengearbeitet haben.
Was verbindet Sie mit den einzelnen Titeln?
Gwildis: Schon sehr viel – angefangen bei einem recht ungewöhnlichen Song, der eigentlich erst gar keiner war: Es handelte sich nämlich um einen Text von Heinz Erhardt – „Der einsame Abend“. Ein Gedicht, das wir uns auf Anregung seiner Enkelin ausgewählt haben und so klasse fanden, weil er da in eine für ihn so untypische bluesige Ecke geht.
Weniger bekannt dürfte auch der Song „Was ist denn schon dabei“ sein…
Gwildis: …ein alter Stromboli-Titel aus den 90er Jahren, bei dem wir uns immer vorgestellt haben, den mehrstimmigen Gesang einmal mit Bigband zu machen – jetzt gibt’s den hier auf diesem Album, das ist natürlich auch total cool.
Tragisch ist hingegen die Geschichte hinter dem Titelsong „Das mit dem Glücklichsein“, ist diese doch eng verbunden mit dem verstorbenen Pianisten Ralf Schwarz.
Gwildis: Ich hatte an einem Samstagabend mit ihm telefoniert und er erzählte mir, dass er sich ein Haus gekauft hätte und wie sehr er sich darüber freute. Ich bin dann ins Bett gegangen, und als ich am nächsten Tag aufwachte, schrieb ich diesen Text runter…
… „Das mit dem Glücklichsein, das ist wie fliegen können, so leicht, breite die Arme aus und flieg zum Fenster raus“…
Gwildis: …und das ist selten, dass mir so etwas so aus der Feder fließt, das ist mir bislang nur zwei-, dreimal in meinem Leben gelungen. Und am nächsten Tag passiert genau das, was da beschrieben wird: Ralf stürzt sich aus dem Fenster eines Hochhauses… Ich hätte nie gedacht, dass dieser Text irgendetwas mit ihm zu tun haben könnte und es da irgendwelche Schwingungen gab, die vielleicht von ihm gekommen waren.
Das Arrangement dazu klingt denn auch so gar nicht nach der bekannten „My funny Valentine“-Musik.
Gwildis: Natürlich habe ich diese Geschichte auch Jörg Achim Keller erzählt, und insofern ist das Arrangement, das er darauf gemacht hat, auch ganz anders geworden als all die anderen „My funny valentines“, die es gibt auf dieser Welt.

Nun hätten diese 13 Titel des Albums aber ja selbst im besten Improvisations-Fall kaum für einen ganzen Konzertabend gereicht…
Gwildis: …weshalb aktuell auf der Tour auch noch die Soul-Geschichten dazukommen sowie ein paar Songs aus Stromboli-Zeiten, die wir schon in den 90er-Jahren gemacht haben wie „Mond über Hamburg“: Das klingt mit der Bigband natürlich ganz prachtvoll und macht einen Riesenspaß!
Klingt ganz danach, als ob künftig in Ihre Programme neben dem Soul auch der Jazz Einzug halten wird.
Gwildis: Ja – wobei: Der war ja früher auch schon da, wenn man etwa zu den Strombolis guckt, das war ja teilweise echter Hochleistungs-Jazz. Aber Jazz mit deutschen Texten anno 1992: Damit konnte man damals keinen Blumentopf gewinnen. Wenn man das den Medien auftischte, haben die einen alle angeguckt, als wäre man gerade ganz fies in etwas Braunes reingetreten.
Zum Glück ändern sich die Zeiten – heute lässt sich solch ein Album nicht nur als CD und zum Download anbieten, sondern sogar obendrein als Vinyl-Platte herausbringen. Ist das die Sehnsucht nach der guten alten Zeit?
Gwildis: Weniger eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit als vielmehr ein klares Bekenntnis zu einem analogen Leben. Ganz viel Digitales geht mir einfach ab, das hat nichts mehr mit mir zu tun. Ich komme aus einer Handwerkerfamilie, bin ein leidenschaftlicher Bastler und Tischler: Ich muss irgendetwas in den Händen halten.
Aber Sie haben doch sicher einen CD-Player zuhause?
Frage: Natürlich – aber ich habe auch ein Grammophon und einen Schallplattenspieler – und diese Unterschiede einmal zu hören, das finde ich unheimlich interessant. Ich bin keineswegs immer einverstanden mit dem, was man so als mp3-Sounds zu hören bekommt – ja, ich bin wirklich verwundert über die Gegenläufigkeit der Soundentwicklung.
Inwiefern?
Gwildis: Heute gibt es für die Aufnahme Monster-Anlagen für Millionen von Euro, es gibt Spezialeffekt-Geräte und das geht dann über Mikrophone, die tausende von Euro kosten – und zum Schluss hörst Du das alles in zwei kleinen Kopfhörern für drei Euro, die nicht größer als ein Fingernagel sind…
…die schöne neue Technik-Welt.
Gwildis: Da stimmt es einfach nicht, und ich finde: Da kann ich einem Grammophon-Sound mehr abgewinnen. Ich will jetzt nicht alles verteufeln, aber es ist doch interessant, mit wie wenig man heute oftmals einverstanden ist – und da komme ich dann nochmal auf die Retro-Seligkeit zurück: Du besinnst dich manchmal einfach auf die Sachen, die früher eine große Bedeutung hatten und die wichtig waren.

@ Christoph Forsthoff. Alle Rechte vorbehalten

Making-of-Video
Stefan Gwildis solo: „Was ist denn schon dabei“

Tourdaten Stefan Gwildis & NDR Bigband:
25.1. München, Muffathalle
30.1. Lübeck, Musik- und Kongresshalle
1.2. & 15.4. Hamburg, Kampnagel
2.2. Göttingen, Stadthalle
3.2. Dortmund, Konzerthaus
4.10. Berlin, UdK
5.10. Köln, Gloria Theater
6.10. Bremen, Schlachthof
Veranstalter/Karten: Karsten Jahnke Konzertdirektion