Als Junge hat Siggi Loch seinem Vater die Caprifischer auf dem Akkordeon vorgespielt – heute gehört der Wahlberliner zu den Granden der Musikbranche. Nachdem der gebürtige Pommer in den ersten 30 Jahren seines Berufslebens für fast alle großen Musiklabels in führender Position tätig war und Stars wie Yes, Al Jarreau, Marius Müller-Westernhagen oder Katja Ebstein ihre Karriere nicht zuletzt seinem Manager-Geschick verdanken, widmet sich der schlanke Mann nun seit über zwei Jahrzehnten seiner eigentlichen Liebe: dem Jazz. Sein eigenes Label ACT hat dabei nicht nur Weltkarrieren wie die Nils Landgrens, Rigmor Gustafssons oder des Trios e.s.t. und seines 2008 tödlich verunglückten Pianisten Esbjörn Svensson befördert, sondern auch den Jazz mit dem Pop versöhnt. Christoph Forsthoff hat mit Siggi Loch gesprochen.
Herr Loch, lässt sich mit Jazz noch Geld verdienen?
Siggi Loch: Die Entscheidung für dieses Label, das ich jetzt seit über 20 Jahren mache, ist eine Entscheidung aus Leidenschaft und kein Geschäftsmodell gewesen. Ich habe zu den Hochzeiten des Rock’n’Roll gutes Geld verdient – und zwar mit Rock’n’Roll. Und danach bin ich zurück zu dem, was mich überhaupt dazu gebracht hat, ins Musikgeschäft einzusteigen: nämlich meiner Liebe zum Jazz. Ich wollte immer ein Jazzlabel haben, und das habe ich mir dann quasi geleistet, denn ich lebe nicht davon.
Sie meinen, Sie selbst verdienen daran kein Geld?
Loch: Seit 20 Jahren stelle ich meine Arbeitskraft, Kreativität und Leidenschaft dieser Arbeit unentgeltlich zur Verfügung. Ich habe das finanziell selbst angeschoben, habe keine Partner, Banken oder anderen Leute, die mir in die Suppe spucken können. Die Gewinne reinvestiere ich in neue Produktionen, die Förderung neuer Künstler und mehr Marketing, ohne selbst dieser Firma einen Cent zu entnehmen. Das kann man nur aus Leidenschaft machen – als Geschäftsmodell ist es aber niemandem zu empfehlen, der davon leben will.
Welche Auflage erreichen denn Jazz-CDs heute im Schnitt?
Loch: Wir haben das Glück, Künstler wie Nils Landgren zu haben, von dessen CDs wir immer noch 30000 bis 40000 Stück verkaufen – aber die Zeiten, als wir 100000 CDs von Esbjörn Svensson verkaufen konnten, die sind vorbei. Und wenn wir bei unserem Apparat und unseren Kostenstrukturen nicht mindestens 5000 Stück von einem Album verkaufen, dann haben wir Geld verloren.
Wie oft passiert Ihnen das?
Loch: Es gibt leider immer mehr Platten, die diese 5000 nicht erreichen. Haben wir aber gleichzeitig nicht genügend Veröffentlichungen, von den wir 20000 oder 30000 Stück verkaufen, dann können wir solche Produktionen nicht mehr machen – und das wäre sehr traurig, denn das beträfe natürlich den Nachwuchs.
Um dessen Förderung Sie sich auf Ihrem Label wie in Konzertreihen bemühen – Sie könnten es sich auch leichter machen…
Loch: Mein Ehrgeiz ist es immer gewesen, junge Künstler zu finden – und nicht das große Monopoly-Spiel zu spielen. Klar habe ich das auch gespielt, das war mein Job; aber in der Arbeit als Produzent für mein eigenes Label ging und geht es mir darum, junge Talente zu entdecken und ihnen zu helfen, ihren Weg zu einem größtmöglichen Publikum zu finden.
Sind solche Trüffelschweine in Sachen Jazz wie Sie inzwischen eine aussterbende Spezies?
Loch: Das Problem ist, dass sich in diesem Geschäft heute sehr viele Leute tummeln, die gar keine Ohren haben. Die Anforderungen an einen modernen Konzernmanager sind dermaßen kaufmännisch und technisch geprägt, dass die musikalische Seite überhaupt nicht mehr befriedigt wird.
Und das war früher anders?
Loch: Ich gehöre ja noch zu der Generation, die über die Musik und die Leidenschaft zur Musik ins Geschäft gekommen sind und alles andere dazu gelernt haben – und nicht umgekehrt. Ein klassisch ausgebildeter Manager aber kann nachträglich kaum ein Gespür für Musik entwickeln.
Woran liegt es, dass Jazz bis heute ein Nischenmarkt geblieben ist?
Loch: Jazz ist eine Kunstform – und die ist einem großen Publikum eben genauso wenig zu vermitteln wie moderne klassische Musik. Klassik ist heute doch im wesentlichen Erinnerungskultur, man spielt immer wieder Mozart und Beethoven – wer zu Mozarts Zeiten ein neues Engagement bekam, musste dafür neue Musik schreiben. Keiner wollte hören, was der Musiker andernorts bereits gespielt hatte – und anders als in der Klassik ist das im Jazz heute noch so.
Nun mag ja für Sie heute der kommerzielle Gedanke keine Rolle mehr spielen, dennoch stellt sich angesichts von Raubkopien und illegalen Downloads die Frage: Wie lässt sich beim Publikum wieder ein Bewusstsein für den Wert von Musik schaffen?
Loch: Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politik, den Tonträger als Kulturgut zu schützen, das Musik quasi „einfriert“ und wieder abrufbar macht für nachfolgende Generationen. Aber wenn unsere heutigen Politiker nicht den Mut haben, den Menschen eindeutig zu sagen, wie wichtig dieser Schutz des geistigen Eigentums ist, dann verfestigt sich eben im Kopf der Konsumenten der Gedanke: Wenn es umsonst geht, warum soll ich dann dafür bezahlen?
Für die Musikindustrie eine dramatische Entwicklung…
Loch: …ja, denn das Bewusstsein der jungen Generation für den Wert des geistigen Eigentums ist einfach nicht vorhanden. Die meinen, was sie machen, sei total legal – und das wird jetzt noch unterstützt durch diese propagierte, einzigartige Idiotie, das Netz müsse frei sein!
Dennoch glauben Sie nach wie vor an die Zukunft der CD, wie Sie immer wieder sagen.
Loch: Ich glaube, dass man den Sammeltrieb dem Menschen nicht wirklich austreiben kann. Und es würde sich lohnen, darüber nachzudenken, wie wir dem Tonträger wieder eine Seele einverleiben wie damals bei der Platte: Denn haptisch ist die CD nicht vergleichbar mit dem Vinyl-Album. Deshalb haben die Menschen auch nie dasselbe Verhältnis zur CD entwickelt wie wir damals zur Langspielplatte, die Teil unseres Lebens wurde. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass Musik heute nicht mehr den gleichen Stellenwert hat für die jungen Leute wie für uns damals.
Andererseits läuft heute fast jeder junge Mensch mit einem iPod herum.
Loch: Das ist ja das Schlimme! Es ist doch nicht zu fassen, dass die Menschen freiwillig bereit sind, auf die Qualität einer CD zu verzichten. Ich höre mir jedenfalls nichts auf dem iPod an: Ich habe zwar einen, aber den benutze ich nicht. Und wenn mir Musiker ihre MP3-Files auf dem Computer schicken, sage ich ihnen ganz klar: Wenn du mir das nicht als CD schickst und ich mir das zuhause anhören kann auf meiner Hifi-Anlage, dann will ich das gar nicht hören – die Arroganz leiste ich mir.