Pausen, hat Viktoria Tolstoy uns im Interview erzählt, Pausen seien für ihren Jazzgesang viel wichtiger als die Noten. Für den Zuhörer, um die oftmals seidenweichen, perlenden Klänge der Schwedin in ihrer ganzen Schönheit zu empfinden – für die 39-Jährige, um in sich hineinzuhorchen, wie der Song wohl weitergehen könnte. Was dann mal laut und aggressiv, mal sanft und verhalten klingen kann. „Alles eine Frage des Temperaments und des Moments“, meint die blonde Sängerin und ihre blauen Augen blitzen.
Und eben dieser Moment verlangt derzeit offenbar nach (musikalischer) Intimität. Nur die unprätentiöse Frau und ihr langjähriger musikalischer Begleiter und Band-Leiter Jacob Karlzon – einer der besten, variabelsten und fantasievollsten Jazz-Pianisten. „A Moment of Now“: Das ist eine Sammlung wohl vertrauter Titel wie „Lessons in Love“ oder „Shadow and Light“ von bekannten Musikern wie Peter Gabriel, Alanis Morissette oder Gabriel Faure – und doch in jedem Fall eine Neuentdeckung. Denn die attraktive Skandinavierin bleibt sich und ihrem soften Vocal-Jazz treu in den feinfühlig arrangierten Kompositionen, haucht mit ihrem warmen, ausdrucksstarken Timbre jedem Song ihre eigene Seele ein, während ihr kongenialer Pianomann für einen entspannten Klaviersound, doch voller Zwischentöne und großer innerer Spannung sorgt, Brillanz mit impressionistischer Behutsamkeit zu verbinden weiß. „Denn Jazz ist eine Musik fürs Herz – der Verstand hat damit nichts zu tun“, meint Viktoria Tolstoy. „Das Zusammenspiel zwischen mir und Jacob lässt sich eigentlich nur mit einem Liebesakt vergleichen.“
Dass dabei neben den fragilen, traumhaft versponnenen Melodien auch leidenschaftliche Momente aufglühen, liegt im Blut der Künstlerin: Handelt es sich doch bei ihr um die Ururenkelin des berühmten russischen Schriftstellers. Und so wie Leo Tolstoi einst seine Romanfiguren in die Sehnsucht nach Liebe, Lust und Leidenschaft trieb, so treibt seine Nachfahrin heute manch melancholischen Jazztitel in die plakativ-lieblichen Pop-Gefilde. „Ich habe mich nie auf einen einzigen Stil festlegen mögen“, sagt sie, „ich mag die Vielfalt, denn ich möchte so viel – manchmal vielleicht zu viel…“ Das mag dann zwar nicht ganz so tiefsinnig wie die Geschichten ihres Urahnen sein, doch wer würde schon bei solch einem zauberhaften Wesen in Frage stellen, dass nicht auch diese Art der Erzählung einfach wunderschön klingt…
Christoph Forsthoff
Label: Act