Oh, how very British, indeed! In „Mirrors“, einer Suite für Chor, Solostimme und Klaviertrio, vertont Kenny Wheeler erstmals Texte aus dem Kreis der britischen Hausgötter Stevie Smith, Lewis Carroll und William Butler Yeats. Die Besetzung bietet die Jazz-Garde der Insel auf: Nikki Iles (Piano). Mark Lockheart (Sax), Steve Watts (Bass) und James Maddren (Drums) plus der renommierte Chor London Vocal Projekt unter der Leitung von Pete Churchill. Als Solistin stößt Wheelers langjährige Mitmusikerin Norma Winstone hinzu, die ehrwürdige Patin des europäischen Jazzgesangs. Deren Biografie zeichnet den Stil der Suite vor – tief in der klassischen Musik verwurzelt, hat sie auch mit dem englischen Komponisten Ben Britten gearbeitet.
Wheelers Kompositionen versuchen eine Brücke zu schlagen vom Swing zur englischen Neoromantik des 20. Jahrhunderts. Ein eigenwilliges Experiment. Denn während der Chor mit feinziselierten Melodien und durchaus sauber im Jazzduktus die klassischen Verse deklamiert, swingt die Rhythmusgruppe wacker dagegen an und hat Mühe, gelegentlich ein paar Fills unterzubringen. Man spürt das Aufatmen des Trios, wenn der Chor schweigt. Die generelle Schwäche eines Chors im Jazz-Kontext offenbaren die solistischen Passagen von Norma Winstone: denn diese transportieren eine Intimität, Klangfarbenvielfalt und rhythmische Beweglichkeit, die ein vergleichsweise träges Kollektiv nicht leisten kann. Man wird die Assoziation eines Kirchenchors nicht los, welcher der Händelfalle zu entkommen versucht, indem er sich an Jazz abarbeitet. Aber vielleicht ist das auch nur ein allzu kontinentales Problem.
Sven Sorgenfrey
Label: Edition