Das Klavier perlt meist spielerisch durch die Songs, stürzt sich aber auch ansatzlos in dunkel schwärende Staccato-Akkorde. Der Schlagzeuger versucht sich anscheinend auf einer komplett anderen Party – und der Bass hält trotzdem alles zusammen.
„Archean“ – die zweite CD der niederländisch-deutschen Formation Doppler Trio ist die perfekte Oster-Platte: Ich musste lange suchen, um herauszufinden, warum mich das Album überzeugt. Aber gefallen hat es mir von Anfang an! Und noch etwas spricht für Ostern: Auf dem Cover sind die Musiker alle knallbunt angezogen.
Dass es sich um ein „Konzeptalbum“ handelt, hat meine anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten nicht vermindert – diese Musik funktioniert auch ohne „Konzept“. An dieser Kategorie scheint das Trio aber einen Narren gefressen zu haben. Auch das Debüt-Album hatte ein „Konzept“. Trotzdem: Dass es sich bei Album Nummer zwei um Musik handelt, die an das „Archäikum“ (Erd-Zeitalter vor etwa 2,5 Milliarden Jahren) erinnern soll, ist mir ehrlich gesagt völlig schnuppe. Die nur schwer einzuordnende musikalische Gratwanderung des Doppler Trios – irgendwo zwischen Klavier-Träumereien, Brachial-Jazz, Klassik-Anleihen und Prog-Rock-Sentenzen – hat aber hörbare Qualitäten.
Schon im Opener „Herodotus“ offenbart sich ein Muster, das alle Stücke grundiert. Meist steht das Klavier (Daniël van der Duim) im Vordergrund. Während der Bass (Floris-Jan van den Berg) den rhythmischen Zusammenhalt sichert, darf der Schlagzeuger (Hendrik Eichler) immer wieder loslegen als wolle er das Wort „Konzept“ Lügen strafen. Das nervt zwar manchmal, baut aber eine hektische Spannung auf, die das Klavier häufig mitreißt und zu rasanten Sturmläufen inspiriert. Dazwischen hören wir immer wieder stark verhallte Gesangsfetzen, die irgendwo aus dem Jenseits zu kommen scheinen – oder war es der Muerzin, der neben dem Studio seine Arbeit verrichtete?
Der letzte Song „Earth“ verfügt über einen längeren Gesangspart und kann mit seinem Staccato-Rhythmus auch als Prog-Rock durchgehen. Warum ein Song, der „Finale“ heißt in der Mitte des Albums steht und der vorletzte „Intro“ heißt, wirkt eher rätselhaft, scheint aber zum „Konzept“ zu gehören.
Auf jeden Fall hat die Formation – die mit Klavier / Synthie, Bass und Schlagzeug daherkommt, einen hohen Wiedererkennungswert. Und das ist heutzutage im Jazz nicht selbstverständlich: Viele Formationen wollen möglichst variabel klingen, vergessen dabei aber oft ihre spezifischen Stärken. Das Doppler-Trio macht diesen Fehler nicht und kreiert aus seiner (hörbaren) Begrenztheit einen eigenständigen Sound – der auch bizarre Ausflüge in grenzwertige Sphären nicht ausschließt. Das Zuhören aber – das sei hier noch einmal ganz klar gesagt – macht fast immer Spaß.
Was die Vermarktung betrifft, haben die drei Musiker, die sich auf dem Konservatorium in Arnheim kennen gelernt haben, wohl einiges aus Marketing-Vorlesungen abgekupfert. So wirkt der Trailer-Clip zu einem musikalischen Crowdfunding-Projekt eher wie ein Teenager-Schnellschuss für TikTok und lässt uns sogar feurige Bekanntschaft mit einer Haarspray-Dose des Drummers machen. Aber was solls: Mir gefällt diese unorthodoxe CD, da sie auf angenehm spielerische Weise aus der Reihe tanzt und sich nicht um angebliche Regeln schert, die Jazz angeblich erst zu Jazz machen.
Also – wer noch eine Oster-Überraschung sucht: Hier ist sie!
Label: Berthold Records / Vertrieb Cargo
Copyright: Kevin Gruetzner