Omer Klein: Sleepwalkers

Georg Wilhelm Friedrich Hegel gilt als Allzweck-Philosoph und ist deshalb für jeden da! So auch für den Jazzer Omer Klein. Bei seinem neuen Album „Sleepwalkers“ beruft sich der in Israel geborene Pianist auf den 1831 verstorbenen Idealismus-Profi und dessen Zitat „Kunst zeigt sich im Absoluten“.

Ohne jetzt den halben Hegel nachbeten zu wollen: Klein kommt über den deutschen Idealismus direkt zu Gott – findet aber im Interview, Gott sei Dank, auch wieder zurück in die Welt des Jazzes. Dort kennt sich der beim New Yorker Komponisten/Pianisten Fred Hersch ausgebildete und mittlerweile in Düsseldorf-Pempelfort residierende Tastenakrobat aus.

Dreizehn Eigenkompositionen auf Album Nummer sechs geben Klein-Fans was sie erwarten: Perlenden Modern Jazz in Trio-Version in einem deutlich aktualisierten Harmonie-Gewand. Und das gelingt Klein mit schlafwandlerischer Sicherheit: „Sleepwalkers“ ist der perfekt passende Titel dieses überzeugenden Longplayers.

Ohne übertreiben zu müssen, kann man dem 34-jährigen Musiker eine hohe Virtuosität und Kunstfertigkeit attestieren. So wie sich ein künstlerisch gestalteter Architektur-Fotoband auf jedem Cocktailtischchen gut präsentiert kann man Kleins Musik zu fast jeder Gelegenheit hören! Auszusetzen daran gibt es wenig, zu loben jede Menge.

Was die meisten Stücke auszeichnet sind retardierende, fast kontrapunktische Elemente, die sich als Widerhaken unter Kleins halsbrecherische Klavierkaskaden mischen. Wo bei Modern-Jazz-Traditionalisten wie John Lewis oder Bill Evans organisch entwickelte Harmonie-Sturzbäche aus den Flügeln spritzen, zaubert Klein immer wieder verfremdende Stolpersteine, die dem Zuhörer neue Wege aufzeigen ohne ihn straucheln zu lassen.

Das fällt auch bei fast funky klingenden Kompositionen wie „Blinky Palermo“ auf: Trotz des vorwärts treibenden Grooves zieht das Piano immer wieder mit unerwarteten Tönen oder verschleppten Tempi eine Art Notbremse, die das Abgleiten in ordinäre Rockattitüden verhindert.

Sogar fast poetische oder lyrisch daherkommende Songs wie „One Step at a Time“ erhalten durch unerwartete Klavier-Versatzstücke eine jazzgemäße Ernsthaftigkeit. Auch der religiös inspirierte Opener „Wonder and Awe“ präsentiert trotz seiner gefühlvoll-harmonischen Ausgestaltung immer wieder Töne, die man an dieser Stelle nicht erwartet.

Vielleicht hätte der eine oder andere Abstecher in fernere Jazzgefilde „Sleepwalkers“ abwechslungsreicher gestaltet. „What’s on your Mind“ z.B. beweist wie „anders“ Klein klingen kann obwohl noch jede Menge Klein drin steckt. Aber das ist nur ein Mäusekegel (in der Faschings-/Kalauervariante natürlich ein „Mäuse-Hegel“!), der dem Hörgenuss niemals im Weg steht. Ein überdurchschnittliches – wirklich gutes – Album. Und wie heißt es bei Hegel: „Die Idee ist nichts!“ – wichtig ist das Ergebnis.
Willy Theobald

Fotos: Alexander Heil (PR)
Label: Warner

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