Ein Holzhaus irgendwo im Osten der USA aus starrer Adlerperspektive. Das Nachtlicht ist noch an. Tonspur: „Gute Nacht, John-Boy!“ – „Gute Nacht, Steve!“ – „Gute Nacht, Larry!“ – „Gute Nacht, John-Boy!“ – „Gute Nacht, Mama!“ Dolly Parton deckt Bill Stewart liebevoll zu. „Gute Nacht, John-Boy!“ – „Gute Nacht, Bill!“ Der Rezensent wacht schweißgebadet auf. John Scofield spielt Country. Muss das sein?
Mit „Mr. Fool“ geht es los. Und die Fußnägel des Jazzkritikers stellen sich unwillkürlich auf. Langweilen sich die Jungs dabei nicht zu Tode? „Ich liebe diese Country-Melodien, und ich spiele sie gern auf der Gitarre,“ stellt Scofield klar. „Country-Puristen werden das hassen, aber das ist schon in Ordnung.“ Ganz zu schweigen von Jazz-Puristen. Und Europäern, die traditionell mit dem Musikgenre der (Asphalt-)Cowboys so gar nichts anfangen können. Aber hören wir weiter hin!
Denn was John Scofield mit Bill Stewart, Larry Goldings und Steve Swallow in „Country For Old Men“ unternimmt, ist ein selbstironisches Experiment. Das ist für uns zum Teil sogar verdaulich. Denn teils hört man die Wurzeln von Country in irischen Saufliedern („Wildwood Flower“), teils ist die Verwandtschaft des Genres mit Bluegrass, Folk und Blues unüberhörbar.
So spielt Sco auf diesem Album den Blues seines Lebens: „Bartender’s Blues“, „Wayfaring Stranger“ und „Just A Girl I Used To Know“ werden hier nicht nur Lehrstücke einer über ein langes Übungsleben gewachsenen akkuraten Gitarrentechnik sondern – wie immer bei Scofield – Interpretationen von unermesslicher emotionaler Tiefe. Auch aus „Joeline“, Dolly Partons Ode der abgehängten Ehefrau an die überlegene Konkurrentin, holt Sco alles raus, was an Bluespotenzial drin ist.
Und dann sind da noch die wirklich geradeaus nach Country klingenden Country-Melodeien. Die aber unterzieht das Quartett einer gründlichen Behandlung, der Country-Fan würde wohl eher von Missbrauch reden. „Mama Tried“ kommt zunächst als naives Liedchen daher. Wenn die vier aber losimprovisieren, klingt das nicht viel anders, als was das Quartett sonst so spielt. Der Trick funktioniert mit vielen Stücken erstaunlich gut: „Faced Love“ bekommt ein Swing-Schlagzeug und einen Walking Bass und funktioniert nach obligatorischem Vorspielen der Melodie wie jeder andere Swingklassiker.
Mit diesem Programm tingelt die Jazzlegende Scofield jetzt durch die halbe Welt. Offenbar für das notorisch krawallige Publikum von „Bob’s Country Bunker“ (die Honky-Tonk-Bar in „Blues Brothers“, in der sie beides spielen, Contry UND Western) hat er „Red River Valley“ ins Programm genommen. Hier rumpelt das Quartett gröhlend los und – cut! – finden wir uns in feinstem Jazz wieder. Am Ende des Stücks wird dann nochmal losgerumpelt mit einer Eishockeyhallen-komplatiblen Schweineorgel – und das war’s dann auch mit Country.
Die Rückbesinnung auf eine einfache musikalische Basis bringt auch eine weitere Reduktion des Gitarrensounds mit sich. Er wollte nichts zwischen seiner Gitarre und dem Verstärker außer dem Kabel, bekannte Scofield. Das ergibt einen Sound von warmer Schlichtheit. Damit aber die allzu plumpen Country-Melodien nicht gar so deppert daherkommen, reichert Sco sie unentwegt mit Verzierungen an. Kaum ein Ton ohne Vorschlag oder Dehnung. Das wäre nun wirklich nicht nötig, wirkt gelegentlich wie veralberter Country Yodel, ist exemplarisch zu belauschen bei Shania Twains Hit „You‘re Still The One“ und verwundert bei einem Musiker wie Scofield, bei dem sonst keine Verzierung nur einfach eine Verzierung ist, sondern immer eine musikalische Bedeutung und Funktion hat.
Am Schluss aber setzt der Meister solo auf einer Ukulele mit Johnny Mercers Persiflage „I’m An Old Cowhand“ den Kontext des Albums, als wollte er uns sagen: „Hey Leute, nehmt das mit den Genres nicht so ernst. Das hier geht um Freude an der Musik und die Gefühle, die sie transportieren kann. Entspannt euch, und genießt.“
Na dann: Gute Nacht, John-Boy!
Sven Sorgenfrey
P.S. Bei den Grammy Awards 2017 gelang Sco das Double: Er räumte mit „Country For Old Men“ den Preis für das beste instrumentale Jazz-Album ab. Mit „I’m So Lonesome I Could Cry“ bekam John Scofield die Auszeichnung für das beste improvisierte Jazz-Solo.
Fotos: PR/Nicolas Suttl; Facebook
Label: Indigo/Universal