Es sind diese kleinen Brüche und Verschiebungen, die Kleins Musik so ungeheuer reizvoll machen. Zum Beispiel in der Melodie des Titelstücks, die plötzlich verschoben wird, als habe sich der Pianist verspielt. Es gilt Brahms‘ Prinzip der ständigen Variation. Alles (Melodik, Harmonik, Rhythmik) ist einem ständigen Wandel unterworfen, sicher geglaubtes Terrain wird aufgegeben, plötzlich findet man sich ganz woanders wieder – und kommt unerwartet wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Schulbuchmäßig führt Klein am Ende vor, wie man eine schlichte Schlusswrndung in ein Ostinato wendet, über dem man dem Stück nochmals eine neue Farbe und frischen Drive verleiht.
Melodik und Harmonik dieser Musik finden sich im Dreieck von Jazz, der Liedkunst der Romantik und der wehmütigen Tradition jüdischer Musik wieder. So schön, dass man sich daran ebenso berauschen kann wie die Musiker selbst.
Die langsamen Stücke lässt Klein beginnen wie Nocturnes, biegt dann aber bald ab ins Polyphone (J.S. Bachs Kunst der Invention hat ihren besonderen Einfluss auf Omer Kleins musikalisches Denken), unternimmt einen Ausflug in beinahe Erdnuss-taugliche Barpianojazzgefilde, um elegant wieder beim Nocturne zu landen..
Mit diesem Album beweist Omer Klein einmal mehr seinen Rang als einer der feinsten Pianisten und Komponisten unserer Zeit: brilliant, klug, trotz aller Intellektualität und Komplizität zugänglich und leicht, traditionsbewusst und experimentierfreudig.
Sven Sorgenfrey
Foto: PR
Label: Neuklang (Edel)