Da ist am Anfang dieses Publikumsgeräusch. Der besteht nicht aus höflichem Klatschen und zwei, drei Pfiffen in staubtrockener Akustik – wie man das eben von Jazzkonzerten kennt, zu denen sich die Musiker und nur unwesentlich mehr Zuhörer versammeln. Nein, es ist ein Publikumsjubel wie bei einem Rockkonzert. Es sind also eine Menge Fans und offenbar nicht die klassischen Jazzliebhaber, die mit Ende 60, als vollbärtige Oberstudienräte breitrippcordbehost und pullundert von ihrer Mutti zum Spielen in den Hobbykeller geschickt werden, damit sie dort ihre alten Coltrane-Schallplatten hören können, ohne ihre Mitmenschen zu nerven.
Und die John Medeski, John Scofield, Billy Martin und Chris Wood enttäuschen ihre Zuhörer nicht. Was sie 1998 mit „A Go Go“ angerührt haben, zelebrieren sie live wie eine 1000-Volt-Messe. Die lakonischen, extrem reduzierten Melodien Scofields und der Markengroove der Acid-Jazz-Pioniere schaffen ein Spannungsfeld, aus dem die Vier eine extrem kluge, virtuose, gleichzeitig entspannte und höchst konzentrierte von (Selbst-) Ironie durchdrungene Musik gewinnen. Drei Beispiele:
„Amazing Grace“ – Wie sich Medeski hier duhn orgelt und ernüchtert im Klischee landet, das der Bass dankbar ins Groteske überdreht, kommt an Respektlosigkeit dem lustvollen Zersägen der US-Hymne durch Jimi Hendrix gleich, ist aber ungleich feinsinniger und liebevoller.
„Miles Behind“ – Im Intro zeigt Drummer Billy Martin, dass er auf seinen eigenwillig gestimmten Trommeln mehrsträngige Geschichten erzählen kann. Dann gibt die Kapelle richtig Gas und jagt das Stück so energiegeladen und kreativ über die Bühne als sei nicht nur Miles sondern der Leibhaftige hinter ihnen her (was für die Sidemen des legendären Trompeters wohl auf das gleiche hinauslief). Selten nach seiner Zeit bei MD hat Sco so rockig gespielt.
„Little Walter Rides Again“ – Der Dialog zwischen Gitarre und Orgel ist ein Paradebeispiel musikalischer Hochkomik – vom Titel des Stücks mal ganz abgesehen. Im Ubergang zu „Hanuman“ entwerfen die Musiker Friselleske Klanglandschaften mit Anklängen an die Doors.
Selten ist ein psychedelischer Trip dermaßen wach musiziert worden wie dieses Album. Und da freut sich dann auch der Rauschebart im Jazzkeller.
Sven Sorgenfrey
Label: Indirecto Records (Alive)
John Scofield „Piety Street“ (CD-Tipp)
John Scofield „54“ (CD-Tipp)
John Scofield „A Moment’s Peace“ (CD-Tipp)