AboutJazz

Norah Jones: Til We Meet Again

Was für ein Gefühl, was für eine Stimme, was für ein musikalisches Highlight! Eigentlich weiß man bei diesem Album nie, welche Zauberkräfte die Zuhörer gerade in die Songs hineinziehen! Es beginnt mit flüchtig hingeklimperten Akkorden, die Stimme schleicht sich fast unbemerkt in die Harmonien – und irgendwann ist man mittendrin. Plötzlich fangen die Songs an zu leuchten, funkeln immer stärker, werden zu rotierenden Musik-Leuchttürmen die ihre Klangkaskaden verschwenderisch durch die Atmosphäre schleudern.

Obwohl Norah Jones seit mehr als 20 Jahren im Geschäft ist, mehrere Nummer-Eins-Alben veröffentlicht, acht Grammys gewonnen und etwa 35 Millionen Tonträger verkauft hat: Immer noch streiten sich weltweit Kritiker, ob das mittlerweile 42-jährige Wunderkind Jazz, Pop oder Adult-Music macht. Dass die vielseitige Ausnahmekünstlerin Ingredienzien unterschiedlichster Genres mit bewundernswerter Treffsicherheit mischt, ist jedoch unbestritten. Also: Wo liegt das Problem? Jones ist einfach eine gigantisch gute Musikerin deren außergewöhnliche Qualitäten auch x-beliebiges Allerweltsmaterial zu perfekten Ohrwürmern veredelt.

Was wäre besser geeignet, das zu beweisen als ein Live-Album – zumal ihre weltweite Fan-Gemeinde die US-amerikanische Pianistin und Sängerin seit Beginn der Corona-Epidemie nur noch aus der Konserve kennt. Okay, natürlich ist ein Live-Album auch eine Konserve – aber trotzdem etwas anderes als Studio-Aufnahmen. Live-Takes kursieren zwar im Internet, ein reguläres Live-Album gab es außer einer EP und vier Konzert-DVDs von ihr noch nicht. So sieht es zumindest die Zählweise der Plattenindustrie.

Schon der Opener (“Cold, Cold Heart” von Hank Williams) ist ein echter Killer. Die einleitenden Klavier-Akkorde und das raue Timbre ihrer unverkennbaren Stimme lassen dem Zuhörer keine Wahl: Hier hilft nur BEGEISTERUNG. Und so geht es weiter. „Begin Again“ jagt auch schwer erregbaren Zeitgenossen eiskalte Schauer über den Rücken, bei „Flipside“ tastet sich Jones von mildem Säuseln über kraftvolle voluminöse Passagen bis hin zu explodierenden Vokal-Ausbrüchen.

Eingebettet sind diese Pretiosen aus den Jahren 2017 bis 2019 in das perfekt arrangierte Instrumental-Korsett langjähriger Begleitmusiker wie Pete Remm (Keyboards, Gitarre), Christopher Thomas (Bass) und Brian Blade (Schlagzeug). Und diese ausgebufften Sidemen wissen, dass hier nur eins gefragt ist: Antizipation. Sie müssen extrem variabel sein – so dass Jones alle Freiheiten nutzen kann. Doch diese Palette nutzt sie selten exzessiv. Es genügt, wenn sie ihre Stimme passgenau an die Harmonien anschmiegt, mit dem Klavier schräge modern-jazz-verdächtige Akkordfunken aufglimmen lässt und dann mit fast schmerzhaften Blue Notes den Sack wieder zu macht. Das sind nicht nur artistische Leistungen, die man staunend bewundern muss, sondern beinahe schon emotionale Großereignisse, die den Zuhörer psychisch aus der Bahn schmeißen können.

So unprätentiös und spielerisch wie Jones in die Songs einsteigt, so unbemerkt schleicht sie sich auch wieder heraus. Meist bleibt ein letzter Hauch, ein bittersüßer Nachgeschmack – man bedauert, dass es schon zu Ende ist, weiß aber nicht warum. So auch bei „I’ve Got To See You Again“ von ihrem 2002er Debut-Album. Die Klavierakkorde hängen wie Nebelschwaden in der Luft, ihre Stimme schwebt darüber, geht filigrane Allianzen ein, die sich in Sekundenbruchteilen wieder verflüchtigen. Manchmal denkt man an Billie Holliday, dann wieder an Bessie Smith – und erkennt aber schließlich: Das kann nur Norah Jones sein.

Bei „I’ll Be Gone“, einem country-angehauchten Kompositions-Kabinettstückchen ihres Keyboarders und Lebensgefährten Peter Remm springt mir fast der Draht aus der Mütze. Das ist pure Magie: Mehr geht nicht!

So könnte ich mich jetzt durch fast jeden Song fabulieren. Aber ich glaube meine Begeisterung kommt auch so ´rüber. Deshalb begnüge ich mich mit dem Abfeiern des letzten Takes: Bei „Black Hole Sun“ von Soundgarden, einem Titel, den sie seit dem Tod des Sängers Chris Cornell im Repertoire hat, glaubt man zuerst: Na ja – das ist doch viel zu weit weg von ihr, ein solches Stück funktioniert bestimmt nicht. Pustekuchen: Auch diesen kantig-eckigen Grunge-Evergreen macht sie sich untertan, lässt ihn so klingen als wäre es ein Song, der nur eine Bestimmung hat – nämlich von ihr gesungen zu werden.

In einem Interview sagte sie einmal: „Ich arbeite einfach gern und wenn etwas fertig ist, bin ich sehr stolz darauf.“ Auf dieses Album kann sie seeeeeehr stolz sein.

Copyright: Vivian Wang
Label: Blue Note

Die mobile Version verlassen