Vier knallige Snare-Schläge – und schon ist man mitten drin in diesem Album! Der erste Song („Ari“) startet programmatisch: Mehr Modern Jazz geht nicht! Sind John Lewis und George Russell wieder auferstanden? Kennen wir doch alles! Aber nein, wenn wir genauer hinhören, bemerken wir sofort: Kenny Werner hat eine ganz persönliche Handschrift. Hier ist kein seelenloser Kopist am Werk. Diese Musik lebt. Jazz-Legende Quincy Jones bescheinigte dem Pianisten aus Brooklyn: „100 Prozent Soul und Präzision in einem einzigen Menschen“!
Klar, der vor 66 Jahren geborene New Yorker Pianist und Komponist Werner, der mit elf Jahren seinen ersten TV-Auftritt absolvierte, ist mit allen musikalischen Wassern gewaschen. Er spielte mit Jazzheroen wie Archie Shepp, Dizzy Gillespie, Stan Getz, Charles Mingus, Elvin Jones, Lee Konitz, Lou Rawls, Mel Lewis, Toots Thielemans, John Scofield und und und ….. hat also im Showbizz keinen Beweis für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgelassen.
So gelingen ihm sogar futuristisch anmutende Soundgemälde wie „Breathing Torso“. Trotz Synthigewaber im Intro ein typisches Werner-Stück – fast schon filmmusikmäßig und soundtrackverdächtig. Hut ab: Da mischen sich Hörspielklänge mit gregorianisch klingenden Chor-Versatzstücken und anschwellenden Orchesterpassagen samt synthetischen Geigen, lösen sich aber plötzlich im Nichts auf.
Eine echte, trotzdem 100 Prozent gelungene, Herausforderung ist „What“. Abgehackter akzentuierter Modern Jazz mit sich sträubenden nach Auflösung strebenden Akkorden, die plötzlich in perlende unpersönliche E-Piano-Töne wechseln, dann in eine Art Konkurrenz zum Flügel treten um letztlich gemeinsame Sache mit ihm zu machen. Eine interessante, hoch spannende Fingerübung – fast wie das Intro einer Fünfzigerjahre-Nachrichtensendung. Ist das jetzt ein Hörspiel? Egal, dieser Song ist fesselnd, spannend, irgendwie avantgardistisch aber auch Retro – und trotzdem immer aktuelle Musik.
Faszinierend auch das letzte Stück: „Mechanical Arm“ ist eine eigensinnige widerborstige Komposition (teilweise die Grenzen des Freejazz auslotend) aber trotzdem geerdet und extrem (dis-)harmonisch. Hätte auch in der Disco von Raumschiff „Orion“ laufen können (ich sehe Dietmar Schönherr und Eva Pflug quasi vor meinen Augen tanzen). Ein echter Burner!
Willy Theobald
Fotos: PR/Konstantin Kern
Label: Pirouet