Manchmal muss man den Alltag, die Anforderungen von allen Seiten aus dem Weg räumen, um zum Wesentlichen vorzudringen. Kenny Garrett hat sich für sein aktuelles Album „Pushing The World Away“ die notwendige Zeit genommen, um seinen Reifungsprozess als Komponist und Bandleader fortzusetzen. Er gibt den Stücken Raum, sich zu entwickeln, und führt sich und seine Mitmusiker klug und behutsam durch fein ausgedachte Dramaturgien. Dabei achtet Garrett darauf, dass alle Beteiligten ihren ausbalancierten Platz im musikalischen Geschehen haben. Gleichzeitig gelingt ihm das Kunststück, nicht nur weite Felder für ausgiebige Experimente zu öffnen, sondern auch vielfältige Bezüge zu seinen Helden und Wegbegleitern (in diesem Fall Chick Corea, Chucho Valdés, Sonny Rollins und Donald Brown) herzustellen. Und immer ist es sein Altsaxophon, das mit unverwechselbarem Sound, Stil und improvisatorischer Kraft durch die Stücke führt.
Das Spektrum der Genres, die Garrett dabei bedient, könnte kaum weiter sein. Es umfasst beinharten traditionellen Postbop mit unfasslich treibender Rhythmusgruppe, Latin Jazz, den er so leidenschaftlich zelebriert, als gälte es, eine verlorene Heimat im Bewusstsein zu erhalten, das Nocturne „Brother Brown“ mit Garrett am Klavier und drei Streichern, eine verzichtbare Version von Dionne Warwicks Hochzeitsklassiker „I Say A Little Prayer“, in der er den sumpfigen Gefilden des Easy Listening provokant nahekommt. Im streng frei gehaltenen und wunderbar im 5/4-Takt humpelnden Titelsong schließlich wird hör- und erfahrbar, welche Anstrengungen aber auch welches Glück mit dem mühsamen Geschäft verbunden ist, die Welt beiseite zu schieben. Man hört den Songs an, dass sie für die Bühne geschrieben wurden, und man darf sich sicher sein, dass Kenny Garrett sie dort nochmals in eine höhere energetische Dimension katapultiert. Sven Sorgenfrey