Der erste Titel („For Weeks Prolog“) ist eine Instrumentalnummer. Aber irgendetwas vermisst man. Genau – es ist die Stimme der Sängerin Stefanie Boltz. Doch im zweiten Song („For Weeks“) zeigt die Münchner Jazzerin, wie unersetzlich sie ist. Keine Frage: Ihr Kompagnon, der Pianist Christian Wegscheider, ist ein versierter Keyboarder. Aber die volle Dröhnung Sahnehäubchen ist Stefanie Boltz. Das zeigt sich auch im dritten Stück „Marvelous“. Obwohl Wegscheider sein Piano virtuos beherrscht – erst die Sängerin veredelt den Song zu einem Unikat. Irgendwo zwischen Abbey Lincoln, Dee Dee Bridgewater und natürlich in allererster Linie Stefanie Boltz klingt sie so eigenständig wie eine traditionsbewusste Jazzsängerin nur klingen kann.
Diese eigene Note hat sie bislang mit vier Solo-LPs und dem Projekt „Le Bang Bang“ unter Beweis gestellt. Stefanie Boltz ist auf dem deutschen Jazz-Markt keine Unbekannte. Fast immer wird sie mit Lob überschüttet: zu Recht. Hier auf AboutJazz wurde sie von meiner Kollegin Sabine Meinert schon 2014 als „smart und dynamisch, einfach stimmig“ beschrieben.
„Oft sind es vielmehr die Zwischentöne, die Melancholie und der Blues, manchmal auch Hilflosigkeit, die einen inspirieren“, erklärte die Sängerin in einem Interview. Und genau diese Stimmung transportieren Songs wie „Scuse Me“ oder „I Will Follow You“. Da passiert etwas im Hintergrund, was man nur ahnt, was man aber nicht genau benennen kann – etwas, das Kunst fast immer begleitet oder sogar ausmacht.
Sogar den Bob-Dylan-Evergreen „Don`t Think Twice“ macht sie zu einem geheimnisvollen Desiderat, drückt seiner vexierartigen Vielseitigkeit ihren ganz eigenen Stempel auf. Ähnlich entrückt wirken die sporadischen Einsätze von Instrumenten wie Flöte, Cello oder Bassklarinette, die immer wieder kammermusikalische Akzente setzen.
Und Songs wie „Undream A Dream“ oder „You Don`t Care“, die manchmal mysteriös oder fragil, aber auch irgendwie unvollkommen klingen, stilisieren eine beunruhigende, aber immer intensiv wirkende Magie, die man nur schwer definieren kann.
„A Tamed Tiger’s Roar“ lautet der Titel des Albums und der Keyboarder Wegscheider zeigt immer wieder, wie passgenau er den musikalischen Intentionen seiner Kollegin nachspüren kann. Einmal lässt er das Piano sanft perlen, dann haut er ungestüm in die Tasten („Always Was You“), um den nötigen Drive zu erzeugen. Alleine das Intro zu „For Weeks“ (irgendwo zwischen „Ne Me Quitte Pas““ und „Für Elise“) zeigt, mit welchen Qualitäten er Populäres mit Klassischem verschmelzen kann.
Dieses Album ist ein ästhetischer und musikalischer Denkanstoß, der zwar oft erst durch den Kopf muss, bevor er die Seele erreicht. ABER: Dieser Prozess ist nicht akademisch oder irgendwie anstrengend, sondern auf höchstem Niveau musikalisch – eine Art harmonischer Äther, ein Fluidum, dem man sich komplett ausliefern muss, um es zu genießen.
Foto: Gerhard Watzek
Label: enja yellowbird