Eine Frau im weißen Anzug in fast meditativer innerer Einkehr, die Hände sacht abwehrend nach vorn gestreckt. Was auf den ersten Blick nach Abschottung und Zurückweisung aussieht, zieht den Blick des Betrachters doch magisch an. Wie ein Maelstrom, ein Sog. Genau den will Pianistin Ulrike Haage musikalisch erzeugen – mit ihrer neuen CD „Maelstrom“.
Das Bild auf dem Cover ist quasi der erste zarte Anschlag auf den Klaviersaiten. Samtweich und doch intensiv genug, um das Interesse des Hörers zu wecken, ja anzustacheln. Die konzentrierte Haltung macht die Stärke und Intensität ihrer Musik deutlich. Läuft die CD, wird klar: Kein Plingplong stört die klare Aussage, jeder Ton ist essenziell und doch mit
Manches Motiv erscheint im ersten Moment simpel, fast etüdenhaft. Die Klänge entwickeln sich aber in der Wiederholung auf ungeahnte, spannende Weise. Ein kleines Pling wird zum Gedanken, der rollt und kreiselt, hüpft und federt oder minutenlang schwerelos tänzelt und dann davonfliegt. Es fasziniert, wie die Töne sich verdichten, immer größer werden, Raum greifen, um plötzlich strahlend schön und glänzend hervorzutreten. Hier tritt neben der Pianistin die Klangkünstlerin zutage.
Für die CD hat Ulrike Haage sich großartige Unterstützung – besser Ergänzung – geholt. Uwe Steinmetz (sax), Eric Schaefer und Tim Lorenz (dr) oder Elektronik-Musiker Christian Meyer eskortieren und bereichern die musikalischen Gedanken Haages jeder auf seine Weise. Zusätzliche Akzente setzen der Cellist Avishai Chameides und die Gast-Percussionistinnen Almut Lustig und Brigitte Haas. Sie transportieren pochende Ungeduld, jammerndes Mühen oder afrikanisch anmutende Rhythmen in die Musik-Welt Haages. Zurückhaltend zwar, fast sparsam. Aber: Das klingt. Nur Gefälligkeit sollte man nicht erwarten.
Ulrike Haage schreibt und komponiert seit einigen Jahren auch für Film und Theater. (Derzeit entsteht die Musik zum neuen Spielfilm von Doris Dörrie „Grüße aus Fukushima“, der Anfang 2016 startet.) Mit Rainbirds-Sängerin Katharina Franck brachte sie zudem mehre Alben heraus, unter anderem mit gesprochenen bildstarken Songtexten. Auf Ton-Bild-Verquickungen ist auch „Maelstrom“ angelegt. Jedes einzelne Stück lässt Bilder im Kopf entstehen, zerfallen, ungestüm durcheinander purzeln.
Haages Kompositionen nebenbei zu hören ist deshalb oft nicht drin. „Silent Rain“ zum Beispiel saugt sich förmlich in die Gedanken. Es tönt suggestiv, bis der letzte Ton verklingt. Und wirkt doch erholsam wie der erste Regentag nach langer Hitze. Insgesamt: ein intensives Erlebnis.
PS: Mit dem aktuellen Album „Maelstrom“ werden am 4. September auch Haages erste Alben „Sèlavy“, „Weisses Land“ und „Erzählung des Gleichgewichts 4: W“ wiederveröffentlicht.
Sabine Meinert
Fotos: PR/Thomas Nitz
blue pearls music/Indigo