Seitensprünge, Alkoholexzesse und jede Menge beleidigende Sprüche: Der französische Sänger Benjamin Biolay ließ wenig aus, um sich unbeliebt zu machen. Das war Anfang des Jahrtausends auch dringend notwendig. Zu Beginn seiner Karriere wirkte der mittlerweile 42-jährige Sänger, Komponist und Produzent wie Mamis Liebling.
Am meisten überzeugt Biolay aber, wenn er sich als Hurensohn des französischen Chansons verkauft! Und nicht als linientreuer Nachfolger großer französischer Kleinkunst, wie ihn sein Management gerne präsentiert. Doch der französische Frauenschwarm zeigt immer wieder, dass er lebt!
Charles Trenet dagegen ist tot – aber eine Chansonlegende. Tatsächlich klingen die Lieder des 2001 gestorbenen französischen Grandseigneurs der leichten Muse eher süßlich und glatt. Kritiker warteten deshalb mit Spannung auf Biolays neues Album, auf dem der studierte Konservatoriumsmusiker Trenets Songs neu interpretiert. Begleitet wird der mit immer politischeren Statements jonglierende gallische Vorzeige-Sozialist von Nicolas Fiszman (Gitarre, Bass) und Denis Benarrosh (Schlagzeug), spielt aber auf seinem elften Album auch Klavier, Geige, Orgel, Trompete und Posaune.
Der 1913 in Narbonne geborene Trenet, dem wegen Nazi-Kollaborations- und Pädophilie-Vorwürfen die Aufnahme in die Academie Francaise verweigert wurde, gehört zu den Säulenheiligen der französischen Populärmusik. Betonung auf Populär: Trenet stand dem volksliedhaften Schlager immer näher als dem ambitionierten Chanson. So trifft es sich gut, dass Biolays Interpretationen keine originalgetreuen Coverversionen sind, sondern jazzorientierte Moll-Balladen.
Perdu ist damit das streckenweise recht geckenhafte Schmalz- und Schnulzenflair, das Trenet zum Abziehbild der Moulin-Rouge- und Montmartre-Folklore machte. An deren Stelle entwickelt sich bei Biolay eine Art konzentrierter Ernsthaftigkeit, die fast schon seriös wirkt. Anleihen bei Chet Baker und Django Reinhardt sind kaum zu überhören. Sogar die, meist auf eher naiven Urlaubs-, Liebes- und Kindheitsthemen basierenden, Texte erstrahlen in einem völlig anderen Licht, klingen fast philosophisch und lebensklug. Und Biolay nuschelt genauso brünstig wie immer ins Studiomikrofon – was, nach wie vor, enorm sexy wirkt!
Programmatisch klingt die einzige Eigenkomposition, die Biolay selbst beisteuerte. „La Chanson De Faussaire“ hat er musikalisch wie textlich ganz im Stile Trenets arrangiert. Übersetzt heißt dieser Song übrigens: „Das Lied des Fälschers“. Also: Wenn mir – wie in diesem Fall – eine Fälschung besser gefällt als das Original, dann ziehe ich selbstverständlich die Fälschung vor.
Willy Theobald
Label: Barclay Records/Universal
Fotos: Presse/Geoffroy de Boismenu