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Bill Frisell: Guitar in the Space Age!

Bill Frisell Band © PR/Paul Moore

Bill Frisell Band © PR/Paul Moore

Alte Männer, die ihre Vergangenheit besuchen, werden ja gern mal sentimental. Schlimmer noch: Jazzer haben allgemein eine ausgeprägte Neigung, sehr sentimental zu werden. Doch keine Sorge: Bill Frisell wäre nicht Bill Frisell, wenn bei seinem Trip in seine Jugend nicht eine gehörige Portion Selbstironie mitschwingen würde.

Frisell geht es bei diesem Album nicht um Nostalgie sondern um die Wertschätzung des Fundaments seiner Musik. Sein Gitarrensound ist schon immer sehr spacig gewesen. Jetzt wissen wir warum. Und seine “working band” mit Greg Leisz (Gitarre), Tony Scherr (Bass) und Kenny Wolleson (Schlagzeug und Vibraphon) klingt tatsächlich ganz schön retro.

Die Vorstellungswelt der populären (Musik-) Kultur zumal in den USA hat viele Topoi von der Eroberung des Weltraums geborgt. Die Aufbruchstimmung am Cape Canaveral und die der Hippies fielen nicht so ganz zufällig zusammen. Nach ungezählten Drogentoten, dem Marsch, der in den Instanzen steckengeblieben ist und Euterpop als dem Sieg des Marketings über ernstgemeinte Jugendmusik einerseits, Apollo 13 und dem Verlust der Space Shuttle Challenger und Columbia andererseits ist die Erinnerung an die glorreichen Zeiten der 60er/70er-Jahre nicht ohne Bitterkeit möglich. Dennoch sind die bemannte Weltraumforschung und die Hippiekultur Teil unseres Alltags geworden: Teflonpfannen, wohin das Auge blickt, und Senioren mit Rollator und Jimi Hendrix per iPod auf den Ohren.

Kein Wunder, dass Frisells Versionen von „Messin‘ With The Kid“ oder dem Stromgitarrenklassiker „Rumble“ (von 1958) ungefähr so rebellisch daherkommen wie ein Gartenzwerg in einer Reihenhaussiedlung.

Und auch Brian Wilsons „Surfer Girl“ befremdet den europäischen Zuhörer, denn Frisell spielt es in beiden Genres: Country und Western. Doch im Grunde macht der Opener „Pipeline“ schon alles klar, denn dessen Melodie ist von einer ebenso unerschütterlichen wie trostreichen Naivität, die auf dem Weg ins 21. Jahrhundert verlorengegangen ist und nach deren Unschuld wir uns heimlich sehnen.

Dieser Tage erleben wir mit dem Testflug von „Orion“, dem Start von „Hayabusa2“ und der dramatischen Landung auf einem Kometen eine Renaissance des Weltraumzeitalters. Eine Aufbruchstimmung, die wie in den 50er und 60er Jahren eine ganze Generation erfasste, hat sich dadurch nicht eingestellt.

Nun steht der Lander Philae nach seiner riskanten und schier endlosen Reise in unglücklicher Stellung im eisigen Schatten einer Bergwand auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko und sieht ihrem Hitztod in der nähe unserer Sonne entgegen. Wollen wir ihr wünschen, dass er zum Trost wenigstens Bill Frisells Album dabei hat.
Sven Sorgenfrey

Label: OKeh
Foto: ©PR/Paul Moore

Bill Frisell: Guitar In The Space Age! – Nevers D’Jazz Festival 2014 (Video)

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