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Pe Werner: „Dies ist der meist missverstandene Liebessong“

Pe Werner (© Steven Haberland)

Theater, Konzertsaal oder Kleinkunstbühne, Sinfonieorchester, Rockband oder Bigband: Es gibt nur wenige Künstler, die vielfältiger aufgestellt sind als Pe Werner. Da überrascht es schon, dass ausgerechnet diese Alleskönnerin nun mit „Ne Prise Zimt“ ein Weihnachtsalbum herausgebracht hat – auf dem es indes dank der hr-Bigband herrlich swingt, klingt und groovt. Ohne dass die 53-jährige Wahl-Kölnerin darüber die zarten Jazzballadentöne vergessen hätte: Die gehören nun einmal zum Fest dazu. Letzteres feiert sie übrigens „ganz klassisch wie alle anderen auch“ im Kreis ihrer Familie im Odenwald: „Essen, essen, essen – Geschenke, Geschenke, Geschenke…“ Doch zuvor hat Christoph Forsthoff noch mit Pe Werner über Zimtgebäck, Glück und das große Kribbeln gesprochen.

Nervt es Sie, wenn ich Ihnen sage, dass ich bei Ihrem Namen immer ein Kribbeln im Bauch bekomme, hat doch Ihr gleichnamiger Hit die Jahre meiner ersten große Liebe und ihres Zerbrechens begleitet…
Pe Werner: Nein, da bin ich überhaupt nicht genervt. Ich erinnere mich, dass ich ein, zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Titels gedacht habe: Mensch, es gibt auch noch andere Songs. Doch inzwischen habe ich erkannt, dass das Stück ein Evergreen geworden ist – und das ist ja ein Geschenk, wenn einem so etwas passiert! Zumal wenn das Stück kein doofes ist, sondern eines, das ich immer noch gern singe und musiziere.

Und Sie stört es nicht, wenn Sie in vielen Medien auf dieses eine Stück reduziert werden?
Werner: Wenn ich ehrlich bin, stört es mich schon, denn es gibt in der Tat Menschen, die sagen: Naja, nach „Kribbeln im Bauch“ hat sie ja nichts mehr gemacht… Es ist eben eine Frage der Wahrnehmung und es gibt durchaus Menschen, die denken, ich hätte danach aufgehört zu musizieren…
…dabei haben Sie bis heute 16 Alben produziert und Programme mit Bigband oder sogar Sinfonieorchester gespielt.
Werner: Ja – und insofern kann ich sagen, dass ich in all den Jahren danach wunderbarste Produktionen machen und meinem Anspruch an Niveau, Musik und Qualität frönen konnte. Aber das Interessante an dem Titel ist ja, wenn Sie jetzt sagen, er erinnere Sie an Ihre große Liebe…
…und deren Zerbrechen…
Werner: …dass dies der meist missverstandene Liebessong der Popmusik ist: Denn es geht ja darum, dass das Kribbeln im Bauch nicht mehr da ist! Und trotzdem fallen sich die Menschen verliebt in die Arme, wenn ich das singe – dabei ist da die Rede von schwarzen Schuhen, die im Keller auf die Beerdigung warten, dass es vorbei ist mit dem Kribbeln und man sich sehnsüchtig dessen Wiederbelebung wünscht.

Haben Sie manchmal überlegt, was passiert wäre, wenn Sie nach „Kribbeln im Bauch“ ähnliche Songs nachgelegt hätten – oder war das nie ein Thema für Sie?
Werner: Nein, denn das ganze Album „Kribbeln im Bauch“ ist ja sehr bunt, und das ist meine Art zu schreiben und auch Live-Programme zu gestalten. Natürlich hat man mir damals bei der Plattenfirma gesagt: Du weißt doch, wie es geht, schreib‘ doch nochmal so einen Song (lacht). Aber mich selbst zu kopieren, das hätte ich furchtbar langweilig gefunden.

Nun, thematisch taucht das Thema Liebe ja auch auf ihren späteren Alben immer wieder auf.
Werner: Das ist natürlich ein unerschöpfliches Thema – und wenn man sich all die Platten danach anschaut, dann finde ich als Autorin nicht, dass andere Songs dem Kribbeln textlich oder kompositorisch nachstehen. Aber es ist eben eine Frage, ob die Songs auch den medialen Geschmack treffen, denn als Künstler ist man immer erst mal auf die Unterstützung der Medien angewiesen.

Hits werden also von den Medien gemacht – und nicht von den Musikern?
Werner: Es gibt in Deutschland heute drei oder vier Großhändler, die den Markt bestimmen. Wenn die sagen: Da kommt ein neues Album von Herbert Grönemeyer, das verkauft sich bestimmt, da bestellen wir schon mal 500000 Stück vor und legen die uns auf Halde – dann wird auf Grund dessen schon eine erste Chartlist erstellt, und dann ist eben Grönemeyer auf Eins in den Charts.

Doch damit liegt noch kein Album beim Endverbraucher…
Werner: …aber nun geht Lieschen Müller in den Laden und sagt: Oh, guck mal, Grönemeyer ist ja auf Eins, das muss ja ein ganz tolles Album sein, das kaufe ich. Dann kommt der Radiosender, der traditionell in seinem Programm nur die Top 10 oder die Top 20 spielt und schaut, was auf Platz Eins in den Charts steht – und schon läuft Grönemeyer Powerplay…
…und wird mindestens 30-mal die Woche gespielt.
Werner: Und das war vor 20 Jahren anders: Da gab es in den Radiostationen noch Sitzungen, in denen beschlossen wurde, welche von den Neuerscheinungen gespielt werden sollten – heute wird so über Großhändler, Charts und Radiostationen Publikumsgeschmack gemacht.

Bei Ihnen wurden vermutlich keine 500000 Stück vorbestellt…
Werner (lacht): …zumal es ja ein Weihnachtsalbum ist und damit unter Umständen die Musik erst ab dem 1. Dezember gespielt worden ist. Da bleibt ein Verkaufsfenster für eine CD von vier Wochen – und in vier Wochen sind wohl keine 500000 Platten zu verkaufen…
…dennoch hat Sie das nicht davon abgehalten, der CD das Label „Weihnachtsalbum“ zu verpassen – was für den Rest des Jahres zweifellos eher ein Verkaufshindernis ist.
Werner: Nein, das war für mich überhaupt kein Argument. Für mich ist der Tonträger nur ein Baustein – wenn ich in diesen Zeiten davon leben müsste, wäre ich eh verraten und verkauft. Ich sehe mich in erster Linie als Musikerin und Live-Künstlerin, und so habe ich auch bei einer CD-Produktion im Hinterkopf, dass ich daraus ein tolles Bühnenprogramm baue, das ich dann über Jahre spielen kann.
Nur, dass Sie sich jetzt fragen lassen müssen, ob Sie eine Vorliebe für Zimtgebäck haben…
Werner: …ja, das habe ich! Schon wenn ich mir morgens meinen schönen ayurvedischen Frühstücksbrei präpariere, kommt da auch immer eine dicke Prise Zimt und ein bisschen Kardamon rein.
Was ist das Besondere an Zimt?
Werner: Zimt wärmt. Das hat mit Weihnachten nichts zu tun, aber es macht so ein wohliges, warmes Zuhause-Gefühl, das ich das ganze Jahr über haben kann – auch im Hochsommer.

Woher rührt diese Leidenschaft für Zimt?
Werner: Ich bin eine Süße und habe schon als Baby alles geliebt, was süß, warm, breiig und schokoladig war. Und wenn es heute in einem Hotel einen Milch- oder einen Grießbrei gibt, dann schreie ich Hurra, während meine Musiker sagen: Um Gottes willen, zur Hilfe – wo sind die Spiegeleier?!
Deshalb finden sich in dem Ihren Album beigelegten Rezeptbüchlein von Starkoch Alfons Schuhbeck auch mehr süße als herzhafte Leckereien…
Werner: …vielleicht ist er auch ein Süßer (lacht) – auf jeden Fall ein Genussmensch.
Haben Sie die Gerichte denn schon von ihm serviert bekommen?
Werner: Nee, aber ich hoffe, dass er mich demnächst mal einlädt und bekocht (lacht).

Essen soll in der Regel den Essern schmecken – was soll Ihre Musik?
Werner: In erster Linie mir gefallen – ganz egoistisch. Ich feile so lange an einem „und“, einem Komma oder einer Silbe, bis ich das gut finde und gerne singe. Im besten Fall auch noch 20 Jahre nach der Veröffentlichung – und wenn das dann die Menschen erreicht, ist das für mich ein doppeltes Glück.

Sie schreiben meistens nicht nur Text und Musik, sondern arrangieren auch selbst – mögen Sie nichts aus der Hand geben?
Werner: Warum sollte ich, wenn ich doch weiß, wie es geht und mir gefällt? (lacht) Solange mir etwas einfällt und meine Fantasie blüht, bin ich doch in einer tollen, autarken Position, dass ich mit meinem eigenen kleinen Bauchladen mir die Dinge ausdenken und auf die Bühne bringen kann.

Sehen Sie sich dabei mehr als Poetin oder als Musikerin?
Werner: Noch vor 30 Jahren hätte man gesagt, Pe Werner ist eine Liedermacherin – das klingt heute so furchtbar angestaubt, man sieht da immer irgendeine handbestrickte Müsli-Frau mit der Klampfe vor dem Bauch vor sich (lacht). Deshalb würde man wohl neudeutsch anglisiert sagen „Singer/Songwriter“: Ich bin eine Songschreiberin, die ihre eigenen Lieder interpretiert…
…und dabei immer noch „der Typ himmelhoch jauchzend bis zum Tode betrübt“, wie Sie es vor zwei Jahren mal formuliert haben? Oder haben Sie inzwischen so etwas wie eine innere Balance gefunden?
Werner: Je älter ich werde, desto öfter hält sich diese Waage im Gleichgewicht. Zudem habe ich vor fünf Jahren mit Yoga angefangen und das hilft mir sehr. Mein Beruf ist ja leider ein sehr unsteter, man ist mehr weg als hin, sieht mehr Hotelzimmer als das eigene Sofa – und das macht es ganz schön schwierig, in der Balance zu bleiben.
Gut also, dass es Yoga-Übungen gibt…
Werner: …ja, wenn ich es schaffe, meine Yoga-Matte im Koffer mitzuschleppen und morgens im Hotelzimmer eine halbe Stunde Yoga mache, dann geht es schon besser. Doch mein Naturell bleibt natürlich temperamentvoll und ist nach wie vor himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt – und das schlägt sich auch in den Songs nieder. Doch das empfinde ich selber als sehr lebendig und nicht als Mühlstein an meinem Hals – das bin eben ich.

Braucht frau diese Gegensätze als Künstlerin?
Werner: Ich glaube nicht. Es gibt Menschen, die sich entscheiden, ihr ganzes Leben lang nur Pop-Musik oder nur Balladen zu singen. Ich persönlich wäre da schnell gelangweilt, ich brauche Abwechslung. Zumal ich es schrecklich finde, dass viele Menschen ihr Leben wie ferngesteuert leben und man schon komisch angeguckt wird, wenn man mal spontan laut lachen muss.

Allzu wohl ausgewogen sollte die innere Balance dann also besser doch nicht sein?
Werner: Das wäre auch mein Wunsch an Gesellschaft, dass man dürfen und es lebendig sein darf. Und im Prinzip ist dies auch das Credo für eine Liebesbeziehung: Es gibt ja nichts Schlimmeres als nebeneinanderher zu leben! Doch wenn es lebendig sein soll, dann ist das auch mal unbequem, muss man eben auch mal rechts und mal links gucken.

Findet sich all das, was Sie rechts und links dann sehen, auch in Ihren Liedern wieder?
Werner: Meine Texte sind schon sehr Pe-sönlich, in den Songs stecken mindestens 65 oder 70 Prozent Pe-Autobiografie – doch dann kommt Gott sei Dank ja noch der künstlerische Handgriff dazu. Denn gerade wenn mich Themen selber persönlich sehr berühren, muss ich sie in eine Kunstform bringen, um das auf der Bühne noch singen zu können und nicht tränenüberflutet dazustehen und keinen Ton mehr rauszubekommen.

Aber lässt sich durch den Schreibprozess tatsächlich Distanz zu einem sehr emotionalen Thema erreichen?
Werner: Ich kann erst dann etwas zu einem Song machen, wenn ich es seelisch verarbeitet habe – in einem seelisch instabilen Zustand könnte ich nie ein trauriges Lied schreiben. Erst wenn ich es verarbeitet habe, kann ich es auch singen – und natürlich dann auch sehr emotional singen, aber nicht in einem Zustand, in dem es mir den Boden unter den Füßen wegzieht als Mensch.

Wühlt der Vortrag im Konzert aber dann nicht längst Verarbeitetes wieder auf, wenn Sie eben durch diese Lieder auch von Ihrer Umwelt auf Vergangenes immer wieder angesprochen werden?
Werner: Mein Vater hat Selbstmord begangen, und als ich darüber das erste Mal etwas geschrieben habe, gab es eine Riesen-Resonanz von Menschen, die Ähnliches erlebt haben, in deren Familie jemand den Freitod gewählt hatte. Insofern habe ich gemerkt, dass offensichtlich Musik für Menschen auch eine Art Lebenshilfe ist.
Inwiefern?
Werner: Menschen haben mir geschrieben, sie fänden es gut, dass solch ein Thema aus der Tabuzone rausgehoben wird, man darüber sprechen darf und es nichts ist, was man verstecken muss.
Nur müssen Sie sich weit häufiger solchen Gesprächen stellen – ganz gleich, ob Sie in dem Augenblick wollen oder nicht – als Menschen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen.
Werner: Ich habe mich nun mal entschieden, meine Musik nicht nur im stillen Kämmerlein für mich als Hausmusik zu machen, sondern CDs zu produzieren und die Stücke auf die Bühne zu bringen – und dann muss ich damit umgehen, dass es eine Resonanz gibt, Menschen sich dazu äußern und mit mir darüber auseinandersetzen möchten. Und das empfinde ich auch nicht als Unbill, denn es ist ja meine Produktion.

@ Christoph Forsthoff. Alle Rechte vorbehalten

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