Ulrike Haage: Grüße aus Fukushima

Kein Postkarten-Scherz von Halbstarken, sondern der sehenswerte Film von Dorris Dörrie aus der atomar verseuchten Todeszone hat Jazz-Pianistin Ulrike Haage zu beeindruckenden Musikbildern inspiriert. Mit ihrer Filmmusik krönt sie den Streifen.

Ein abgestorbener Baum in trist-grauer Weite, zwei verloren wirkende Frauen vor einer dunkel-erdrückenden Wand – zwischen diese beiden Bilder klemmt das Label bpm das neue Werk von Ulrike Haage. Und zeigt: Es geht um mehr als feine Klänge. Es geht um das Erleben einer Reise nach Fukushima, ganz nah dran, emotional aufgeladen und bedrückend real.

Pulsierende Tonfolgen, drohend-tiefes Brummen im Hintergrund, daraus sich entwickelnd eine Pianomelodie… Klänge, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, die Zeiteinheiten begrenzen und in Geschichten hineinziehen, die noch gar nicht erzählt wurden. Der Auftakt der CD/der Musik im Film ist aufwühlend. Später gibt Haages Piano leise, zart plinkernd winzige Bruchteile von Hoffnung frei. Spielerische Momente, weiche Klänge – man ahnt die Zerrissenheit der Figuren in der zerstörten Landschaft von Fukushima, auch ohne den Film gesehen zu haben.

Ulrike Haage: Grüsse aus FukushimaAn anderer Stelle erahnt man den Schrecken des Ortes – minutenlang. Bilder braucht es dafür eigentlich keine. Und gleich darauf meint man den hauchzarten Flügelschlag eines Schmetterlings zu spüren, der über der zerstörten Landschaft schwebt – „Tender Moments“. Doch all die bezeichnenden Namen wie „Painful Memories“, „Tristesse“ oder „Broken Buddha“ braucht es eigentlich nicht.

Das Piano führt und entführt in diese traurige Welt. Es erzählt auch von der Hoffnung, die die Protagonisten des Films erfüllt: inmitten von Zerstörung und Traurigkeit einen Weg zu finden. Nicht nur in Fukushima. Haages Musiker geben diesen Themen einen kongenialen Rahmen: geradlinig, klar, puffernd, ergänzend.

Es ist kein großes Aufgebot an Musikern und Instrumenten, gerade so viel, wie nötig ist, den eindrücklichsten Klang eines Motivs zu erzeugen. Zum Beispiel in „Back in Tokyo“: Das Gewirr der Menschen, den ewig auf- und abschwellenden Verkehr, zahllose Lichter und enervierendes Hin und Her – das alles ist mehr als da. Man ist quasi mittendrin. Schon das ist ein Erlebnis.

Gegen Ende erklingt ein Frühlingsmotiv: Kleine Blüten sprießen an einem fast abgestorbenen Baum, ein leichter Wind wiegt die Zweige, irgendwo schimmern ein paar Sonnenstrahlen durchs Gewölk. Später bimmelt eine Glocke, man kommt näher, hört die Zeit quasi fließen, puckern, pochen. Und plötzlich folgt ein warmes Good-bye, erleichtert, fast lachend.

Eindrucksvoll. Diese CD macht den Film sichtbar – auch ohne Bilder. Großes Kino!
Sabine Meinert

Foto: PR/Thomas Nitz
Label: Blue Pearls (Indigo)

Videos