Joscho Stephan

Joscho Stephan: Guitar Heroes

Die Heldenpose gehört zum habituellen Standardrepertoire von Musikern der unterschiedlichsten Stilrichtungen – mit Ausnahme eines Genres: Jazzmusiker neigen selten zum Posieren. Sie entziehen sich der verkaufsfördernden Zurichtung, lassen alle Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie außer Acht. Wenn sie zum Gegenstand kultischer Heldenverehrung werden, ist weniger Selbstdarstellung als Fremdzuschreibung im Spiel.

Joscho Stephan geht es nicht um diese Spielarten der Stilisierung und Verklärung. Die Helden, die er ausgewählt hat, sind Gitarristen, die seine eigene musikalische Entwicklung entscheidend beeinflusst haben. Django Reinhardt, Urvater und Zentralgestirn des Gipsy-Jazz, gehört an erster Stelle dazu, ihm zur Seite stehen stilprägende Meister ihres Instruments wie Charlie Christian, Les Paul, George Benson, Luiz Bonfá, Jimi Hendrix, Carlos Santana und George Harrison. Joscho Stephan ist einer der führenden Musiker des Gipsy-Swing, ein verblüffend virtuoser Gitarrist, dessen spieltechnischer Finesse nichts entgeht, was sich auf sechs Saiten realisieren lässt. Er gehört zu den wenigen Musikern dieses Genres, die ein offenes Ohr für andere musikalische Strömungen besitzen. Wer aufmerksam zuhört, konnte in seinen halsbrecherischen Improvisationen immer schon melodische und harmonische Wendungen entdecken, die ihren Ursprung nicht im musikalischen Vokabular des Jazz haben.

So ist es nur konsequent, dass Joscho Stephan nun den Gitarren-Helden seine Reverenz erweist, die ihn schon seit jeher begleitet haben. Neben Django Reinhardt-Klassikern wie „Love’s Melody“ (auch bekannt unter dem Titel „Mélodie au Crépuscule“) „Hungaria“ und „Swing 42“ wagt er sich an rasante und eigenwillige Interpretationen von Jimi Hendrix’ „Hey Joe“, Charlie Christians „Seven Come Eleven“ und Les Pauls „Bye Bye Blues“, liefert einfühlsame Joscho-Stephan-Guitar-Heroes-Cover-180x180Versionen von George Harrisons Ballade „Something“ und Santanas „Samba Pa Ti“ und scheut selbst vor dem durch George Benson bekannt gewordenen, oft gecoverten „Breezin’“ nicht zurück.

Von all diesen Kompositionen gibt es kanonisierte Aufnahmen, die jeder kennt und schätzt. Und wer wollte ernsthaft den Versuch unternehmen, „Samba Pa Ti“ besser zu interpretieren, als Carlos Santana es getan hat? Es bleibt immer ein Wagnis, sich den Ikonen der Musikgeschichte zu nähern. Aber Joscho Stephan ist klug genug, sich nicht mit ihnen zu messen. Er konzentriert sich auf seine Stärke, in vielen musikalischen Welten zu Hause zu sein. Das vielleicht Erstaunlichste an diesen Aufnahmen ist, dass der Gitarrist stilistische Barrieren so mühelos überwindet und zugleich der Eigenart seiner Gitarren-Helden den größtmöglichen Respekt zollt. Vergrämten Puristen und Gralshütern einer vermeintlichen Authentizität mag das missfallen. Wer sich musikalische Neugier bewahrt hat, wird es zu schätzen wissen. Nur ganz gelegentlich sagt man sich: Der Mut, eigene Wege zu beschreiten, hätte ruhig noch ein wenig verwegener sein dürfen.

Doch Joscho Stephan spielt nicht nur die Musik seiner Helden. Er hat Mitstreiter ins Studio geholt, die ebenfalls Heroen-Status beanspruchen können: Mit Biréli Lagrène und Stochelo Rosenberg gehören zwei Weltklasse-Gitarristen des Gipsy-Jazz dazu. Dritter im Bunde ist kein Geringerer als der australische Saitenzauberer Tommy Emmanuel. Mit solchen Musikern waren langwierige Proben überflüssig. Und man hört es den Aufnahmen an, dass viele der Titel als first takes ihren Platz auf der CD gefunden haben: So viel Spontaneität und überbordende Spielfreude stellen sich nur ein, wenn Guitar-Heroes sich auf Augenhöhe begegnen.
Dirk Brietzke

Foto: Thomas Eder/PR

Autor

Dirk Brietzke ist Historiker an der Universität Hamburg und Autor und Herausgeber zahlreicher kultur- und sozialgeschichtlicher Publikationen. Seine Begeisterung für den Jazz lebt er nicht nur in der Theorie, sondern auch in der musikalischen Praxis als Gitarrist aus.

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