Abdullah Ibrahim (© PR)

Abdullah Ibrahim: Mukashi

Vom jugendlichen Ungestüm seiner Bebop-Phase in den frühen Fünfzigerjahren hat sich der mittlerweile 79-jährige Komponist und Pianist Ibrahim Abdullah schon lange entfernt. „Damals“, so erzählte er, „riefen die Leute die Polizei, um mich vom Üben abzuhalten; sie kamen mit Pistolen“. Das neue Album von Ibrahim – bürgerlich Adolph Johannes Brand, der bis zu seinem Übertritt zum Islam als Dollar Brand Platten veröffentlichte – ist eine Art Rückschau: Der Titel lautet „Mukashi“ – das ist japanisch und bedeutet so viel wie „Es war einmal“.

Trotzdem ist der ferne Osten für Ibrahim kein mythisch verklärtes Märchen – oder gar ein kitschiges Land des Lächelns. Als praktizierender Karateka mit mehr als 50 Jahren Kampfsporterfahrung weiß er, worüber er komponiert: Der Musiker aus Südafrika blickt hinunter vom Gipfel eines erfüllten Lebens, weit zurück bis in die Apartheid der Townships von Kapstadt und philosophiert musikalisch über die Stationen seines künstlerischen Schaffens: Duke Ellington wurde sein wichtigster Förderer, was man oft deutlich hört. Auch mit John Coltrane, Ornette Coleman, Don Cherry und Max Roach spielte er zusammen.

Abdullah Ibrahim - Mukashi CoverGnadenlos und unbarmherzig brennt die Sonne auf den heißen Wüstensand – orientalischer Gesang weht aus der Oase herüber: Der kurze Titelsong fesselt wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Das zweite Stück („Dreamtime“) dagegen kommt eher abendländisch daher. Es zeigt deutlich die Einflüsse von Ellington, die für den südafrikanischen Musiker lebenslang prägend waren. Fast schon europäisch hört sich Take Nummer drei („The Stars Will Remember“) an: ein Solo-Piano-Stück, dass stark nach Konservatoriumsausbildung klingt, aber Gott sei Dank nie akademisch wirkt; eine einfühlsame elegische Komposition, die tiefe Melancholie verströmt.

Als einer der wichtigsten Protagonisten des Modern Creative lieferte Ibrahim in den letzten 20 Jahren mit ausgereiften Kompositionen ein reiches Konvolut begeisternder – teilweise sehr unterschiedlicher – Alben ab. Sein politisches Engagement – auch als Weggenosse von Nelson Mandela – scheint in jede Note zu fließen. Die sozialen Konflikte in Südafrika hat er trotz langjähriger Aufenthalte in Europa und den USA nie aus seinem Bewusstsein verdrängt. So klingen nur Menschen mit tiefer Empfindung und außergewöhnlichen Erfahrungen: Oberflächlichkeit und Effekthascherei scheint dem von hoher musikalischer Ästhetik geprägten, immer noch athletisch wirkenden Schwarzafrikaner von Kindesbeinen an verhasst zu sein.

Im letzten Stüc des Albumsk („The Balance“) steht die Flöte im Vordergrund: Sie wird von sparsamen Klavierklängen kontrapunktisch kontrastiert. Zwischen einzelnen Passagen mit ihren zart-einschmeichelnden opernhaften Koloraturen (die „Zauberflöte“ lässt grüßen) spielt Ibrahim nuancierte Phrasierungen, deren intensive Eleganz nicht nur die Erfahrung eines ausbalancierten Lebens sondern auch Technik und handwerkliche Brillanz vieler Übungsstunden widerspiegeln.

Wer eine nahezu perfekte CD für behagliche Winterabende am Kaminfeuer sucht und dabei nicht immer auf die gleichen abgenudelten Cocktailjazzsampler zurückgreifen möchte, erhält hier die ideale Untermalung: Im Vordergrund steht dabei nicht die ewige „Wiederholung des Immergleichen“ (Adorno) sondern absolute Frische, die sich aus dem Reservoir jahrtausendalter musikalischer Hörgewohnheiten speist. Also: Player einschalten und wohlfühlen!

Willy Theobald

Label: Intuition Records

CD bestellen: CD bei JPC kaufen CD bei Amazon kaufen Download: mp3 bei Amazon kaufen