Arne Reimer: American Jazz Heroes


Seit 2010 ist der Fotograf Arne Reimer sechs Mal in die USA gereist, um 50 große alte Helden (vier davon Heldinnen) des Jazz aufzuspüren. Ursprünglich für eine überschaubare Reihe in der Zeitschrift „Jazz Thing“ konzipiert und produziert, entstand daraus ein kiloschwerer, prachtvoller Bildband im LP-Format mit 228 Seiten.

Was für ein Schatz!

In kunstvoll schlichter Ästhetik schafft Reimer keine Ikonen, sondern zeigt Menschen, die offenbar den Rauheiten des Lebens nicht aus dem Weg gegangen sind. Reimer nähert sich ihnen behutsam, geduldig und mit Respekt für die Würde seines Gegenübers. Teils schüchtern, teils strahlend selbstbewusst, der eine introvertiert der andere zugewandt, in der Wohnung oder davor, oft mit dem Instrument, stehen oder sitzen sie vor Reimers Kamera – und geben ihm Auskunft über ihr langes Musikerleben. Cecil Taylor bescheidet das Greenhorn aus Deutschland: „Setz dich wieder hin, ich erzähle dir hier Jazzgeschichte.“

Natürlich liefert das Buch Bonmots, die das gute alte Klischee bedienen. So zitiert Cedar Walton Billy Higgins mit dem Satz „wenn ein Jazzmusiker umzieht, ist immer eine Lady im Spiel.“ Und natürlich reden die Jazzhelden viel von der goldenen Zeit des Jazz, von Miles, Mingus, Dizzy und all den anderen. Als sie alle noch junge Wilde waren. Als es überall Jazzclubs gab und Jazz im Radio gespielt wurde. Die Szene ist übersichtlich, man kannte einander. Archetypisch dafür ist Julian Priesters Erinnerung „Orrin Keepnews gab mir einen Job als Packer im Versand von Riverside. In meiner Schicht arbeiteten auch Chet Baker, Philly Joe Jones und Kenny Dorham.“

In vielen Aussagen wird aber spürbar, dass die „guten, alten Zeiten“ für viele, die sie miterlebt haben, gar nicht so gut waren. Etwa wenn Louis Hayes, bei dem wahrhaftig Audiocassetten im Wohnzimmer herumliegen, sagt: „Mir wird jetzt ein gewisser Respekt entgegengebracht. Die Leute sehen in mir eine Legende und nennen mich Mr. Heyes, und das fühlt sich gut an.“ Hier wird offenbar, dass die volle Wucht des Rassismus auch vor den Jazz-Granden nicht haltmachte.

Und heute? Lange nach der Hochzeit des Jazz? Der schädliche Einfluß von Musikdownloads aufs Geschäft, die abnehmende Popularität von Jazz und die Erfolge, die (Pop-) Musiker zweifelhaften Könnens durch intensives Marketing erzielen – das alles kommt beiläufig zur Sprache, jedoch ohne jede Larmoyanz. Gary Bartz sieht die Sache positiv: „Das letzte Jahrhundert gehörte den Plattenfirmen. Dies ist das Jehrhundert der Musiker.“

Gelegentlich scheinen über die Jahrzehnte gepflegte Animositäten hindurch. Häufiger aber findet man Worte des Respekts und der Verehrung für bewunderte Mitmusiker. Denn im Grunde geht es ihnen allen nicht um ihre persönliche Heldengeschichte, sondern um die Musik, ihre Weiterentwicklung, Neuland. Viele von ihnen haben diese Entdeckungsreise nie aufgegeben.

„Wenn ich mit der Musik aufhören würde, dann würde ich langsam verblassen.“ (Jimmy Heath)
„Ich versuche, mich misikalisch weiterzuentwickeln – jeden Tag. Die Vergangenheit ist bereits vorbei.“ (Jim Hall)
„Es geht darum, die Musik zu verändern.“ (Paul Bley)

Bley sagt Musik, nicht Jazz. Und darin offenbart sich, dass zumindest die Avantgarde des Jazz der Avantgarde der Neuen Musik ebenbürdig ist – und das auch genau weiß.

Bei fast allen blitzt auf, dass ein Leben mit dem Jazz in den meisten Fällen von traditionell bürgerlichen Pfaden hinfortweist. Dabei ist den allermeisten ein Maß an Selbstbestimmtheit und -reflexion eigen, das man bei vielen Menschen vergeblich sucht. „Manchmal musst du die Musik unterstützen, bis sie dich unterstützen kann.“ Das sagt die Sängerin Sheila Jordan, die sich mit unglaublicher Energie immer wieder aus tiefsten Tiefen aufgerappelt hat.

Und schließlich wird klar, dass die allermeisten der verehrten alten Herrschaften offenbar noch immer jeden Cent gebrauchen können.

„Ich bin zuviel unterwegs für einen 81-Jährigen.“ (Phil Woods)
„Ich bin gern auf Tour – besser als nicht zu spielen.“ (Jimmy Cobb)

Chico Hamilton fasst das alte Ethos so zusammen: „Musiker lieben zuallererst die Musik und ihr Instrument.“ Und davon kündet dieses wunderschöne, nachdenklich machende Buch: Es gab mal eine Zeit, in der es beim Musikmachen um mehr ging, als um kommerziellen Erfolg.
Sven Sorgenfrey

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